Leben, um zu arbeiten? Nicht mit Generation Y.
Generation Y – die Generation der ersten „Digital Natives“, zwischen 1980 und 2000 geboren – ist größtenteils in der Arbeitswelt angekommen. Sie ist gut ausgebildet, technikaffin, mit Krisen vertraut – und anspruchsvoll: Der Beruf soll nicht nur Spaß machen, er soll auch genügend Freiräume bieten, um Zeit für Freizeit, Familie und Selbstverwirklichung zu haben.
Sehr hohe Priorität im Berufsleben der Generation Y hat die Work-Life-Balance, der Einklang von Arbeits- und Privatleben. Das Leben soll sich nicht einzig und allein um den Beruf drehen: Arbeit und Freizeit sollen sich die Waage halten. Kurz nach Berufseinstieg macht es diese Balance zum Beispiel möglich, ein zeitintensives Hobby aufrecht zu erhalten oder eine große Reise zu machen. Im Rahmen der Zukunftsplanung legt Generation Y auch viel Wert auf die Vereinbarkeit von Karriere und Familie.
In vielen Berufen ist es schwierig, diesem Wunsch in angemessenem Umfang gerecht zu werden – in manchen Bereichen scheint es fast unmöglich. Ein Beispiel hierfür ist die Consulting-Branche, werden Beratern doch 60-Stunden-Wochen und unablässiges Unterwegs-sein nachgesagt. Wenn ein Berater Tag und Nacht an einem Projekt arbeitet oder unter der Woche auf sein Zuhause verzichten muss – wo bleibt da das Gleichgewicht?
Beratung, Familie, Hobby: Ein volles Programm
Ein weit verbreitetes Arbeitsmodell, das viele Berater zu schätzen wissen, ist das 4+1-Prinzip: Vier Tage der Woche verbringt man beim Kunden, doch der Freitag ist im Gegenzug entspannter, um einen Ausgleich zu schaffen. Entweder verbringt man seine Freitage beim Office-Friday im eigentlichen Büro der Beratung, wie Kai Hermsen von SMC und Anna Bode von A.T. Kearney, und tauscht sich dabei mit Kollegen über die Ereignisse der Woche aus, oder man arbeitet freitags im Home-Office, wie Accenture-Beraterin Daniela Mitterbuchner. Auch bei DB Management Consulting arbeiten sämtliche Beraterinnen und Berater freitags regulär von Zuhause aus.
Beide Optionen ermöglichen einen Freitag, der deutlich entspannter ist, als die restliche Berater-Woche. Zudem ist meistens kein Acht-Stunden-Freitag nötig, um übrige Arbeiten zu erledigen. Auch bei einer konsequenten 4+1-Philosophie des Unternehmens kann es hier natürlich Ausnahmen geben, wenn gerade Not am Mann ist. Wenn die Dinge jedoch laufen, wie sie sollen, kann man sich durchaus auch mal auf ein zweieinhalb-tägiges Wochenende freuen. Dieser (Home-) Office-Freitag ist schon lange kein netter Bonus mehr, sondern wird von Consultants als „absolut kriegsentscheidend“ angesehen, wie ein Berater, der anonym bleiben möchte, sagt. „Für mich macht dieser Tag den Unterschied aus zwischen ′langfristig möglich′ und ′geht nach ein paar Jahren an die Substanz′. Bei den – zum Glück wenigen und kurzen – Fällen, in denen ich fünf Tage beim Kunden sein musste, habe ich meinen Job nach ein paar Wochen regelrecht gehasst.“ Eine Fünf-Tage-Woche beim Kunden wird von Generation Y als schlichtweg inakzeptabel angesehen – mit der Konsequenz, dass sich junge Berater für Consulting-Firmen mit 4+1-Regelung entscheiden und Beratungen ohne dieses Modell außen vor lassen.
Dr. Thomas Solbach von Strategy& berichtet: „An den Wochenenden kann ich sehr viel Energie auftanken, was es mir leicht macht, am Montagmorgen wieder um sechs Uhr zum Flughafen zu fahren.“ Das Leben aus dem Koffer und die Vereinbarkeit von Karriere und Familie bezeichnet er jedoch durchaus als Herausforderung. „Ein normales Privatleben mit Familie und Freunden zu führen bedarf einer guten Planung sowie einer klaren Priorisierung auf das, was einem im Leben wichtig ist. Meine Frau und ich verbringen daher viel Zeit zusammen mit unseren beiden Kindern.“ Ähnlich sieht es bei Iris Herrmann, ebenfalls von Strategy&, aus: Sie und ihr Partner verbringen ihre Wochenenden gemeinsam mit Mountainbiken, Klettern oder Wandern.
Sport ist ein Hobby, dem viele Consultants auch unter der Woche auf ihren Dienstreisen nachgehen – vor oder nach der Arbeit im Fitnessraum des Hotels, in Schwimmbädern nahe beim Kunden oder auf neu entdeckten Laufstrecken. Ein Beispiel hierfür ist McKinsey-Berater und Hockey-Olympiasieger Philip Witte: Er absolviert sein Kraft- und Lauftraining meistens früh am Morgen vor der Arbeit.
Mehr Zeit daheim: Den Koffer gegen interne Projekte eintauschen
Das 4+1-Modell ist nicht für jeden das Richtige. Wer regelmäßige Verpflichtungen am Wohnort hat, auch mal an einem Dienstag den eigenen Hausarzt aufsuchen möchte oder sich um Kinder kümmern muss, profitiert von anderen Möglichkeiten: Ein Consultant muss nicht zwingend montags bis donnerstags von seinem alltäglichen Leben getrennt sein.
Für die Erfüllung der oben genannten Wünsche eignet sich vor allem die Arbeit in einer Inhouse-Beratung. Pauschal zu sagen, dass interne Beratungen mit weniger Überstunden und Reisen locken, sei schwierig, meint Carolin Dickel von DHL Consulting. „Das ist beispielsweise abhängig von dem Grad der Zentralisierung des Konzerns oder dem Beratungsfokus“, erklärt sie. Sie sagt aber auch: “ ′Aus dem Koffer leben′ musste ich bisher nicht wirklich“ – und sie ist immerhin schon seit fünf Jahren im Inhouse-Consulting tätig.
Neben der Entscheidung für eine interne Beratung, ist auch die spezifische Projektwahl eine Möglichkeit, die eigene Reisezeit zu reduzieren. „Wenn man sagt: Ich möchte viel in Deutschland arbeiten und weniger reisen, dann lässt sich das auch regeln“, meint Dr. Hannes Hauswald von Bain & Company. Bei Projekten im öffentlichen Sektor verbringt man zum Beispiel viel Zeit am selben Ort, wie Felicia Lonnes von Roland Berger weiß. Sie kann hauptsächlich in Berlin arbeiten, wo sie auch wohnt. „Das ist natürlich kein typischer Berateralltag, bei dem man von Montag bis Donnerstag beim Kunden vor Ort ist“, berichtet sie. „Für mich persönlich bietet das den Vorteil, dass ich mich auch mal unter der Woche abends mit Freunden treffen und in Berlin meinen Hobbys nachgehen kann.“
Teilzeit und Consulting – kein Widerspruch
Spätestens wenn die Familienplanung in konkrete Nähe rückt, sind Arbeitnehmer häufig auf der Suche nach flexiblen Arbeitsstrukturen und Teilzeit-Modellen. Durch den intensiven Arbeitsalltag wird oft angenommen, Teilzeit-Arbeit und die Consulting-Branche würden sich gegenseitig ausschließen. Das ist jedoch nicht (mehr) der Fall. Vor allem durch den Zuwachs an Frauen im Consulting haben sich bereits flexible Strukturen für Frauen mit Kindern etabliert, die zunehmend auch von Vätern genutzt werden.
Man braucht sich nichts vormachen: Teilzeit im Consulting ist alles andere als einfach. „Es ist eine organisatorische Herausforderung“, sagt Janka Micka von Roland Berger, die Teilzeit arbeitet und eine zweijährige Tochter hat. „Auf einem Beratungsprojekt, wie auch im Familienalltag, wird man immer wieder mit Unvorhergesehenem konfrontiert. Engpässe und überraschende Änderungen sind an der Tagesordnung.“ Aber: Es funktioniert. Micka ist Senior Consultant und arbeitet in der Regel nur an drei Tagen pro Woche. Hier gibt es natürlich verschiedene Varianten: Es ist zum Beispiel genauso möglich, jeden Tag halbtags zu arbeiten und ein internes Projekt zu leiten.
Urlaub, Leave oder Sabbatical – welche Auszeit soll es sein?
Wer weder Teilzeit arbeiten noch weniger unterwegs möchte, aber zwischendrin einmal eine Pause vom intensiven Berufsalltag braucht, hat die Qual der Wahl: Vom regulären Urlaub zwischen anstrengenden Projektphasen über unbezahlten Urlaub bis hin zu geförderter Weiterbildung und bezahlten Sabbaticals ist alles möglich.
Kirsten Staudt, die normalerweise Projektleiterin bei SMC ist, befindet sich gerade mitten in einer solchen Auszeit: „Seit vergangenem Jahr habe ich einen „Leave of absence“ angetreten, um meine Dissertation zu schreiben. Mein Arbeitsvertrag ruht, ich werde von SMC weiterhin unterstützt, arbeite aber Vollzeit an meiner Doktorarbeit“, berichtet sie. Wie sie, nutzen viele Consultants einen Leave dazu, mit Firmen-Unterstützung zu promovieren oder einen MBA zu machen.
Durch bezahlte Sabbaticals haben Berater außerdem die Möglichkeit, eine Auszeit auch für andere Aspekte als die akademische Weiterbildung zu nutzen. Viele nehmen diese mehrmonatige Pause zum Anlass, um sich ehrenamtlich zu engagieren, ein Start-up zu gründen oder einmal um die Welt zu reisen. Drei Senior Consultants von Roland Berger nutzten ihre Auszeit für solche Reisen. „Rückblickend war das Sabbatical genau das, was ich brauchte: Erholung pur, die Möglichkeit zur Erkundung der Welt und wertvolle Zeit mit den wichtigsten Menschen in meinem Leben“, sagt Senior Consultant Markus.
Auch Susann Bäck, Projektleiterin bei Bain & Company, schwärmt von ihrer Auszeit, die mehrere Monate andauerte: Sie zog sich zunächst in ein Kloster zurück und ging danach noch zwei Monate mit ihrem Mann auf Reisen. Nach dieser ruhigen Phase startete sie mit frischer Energie und neuen Ideen in den alten Job – so profitiert auch Bäcks Arbeitgeber von ihrer Pause.
Insgesamt bietet das projektbezogene Arbeiten im Consulting viele Vorteile, meint Nicole Hildebrandt, zweifache Mutter und Beraterin bei Strategy&. „Man kann mehrere Monate auf einem Projekt arbeiten und dann drei Monate frei nehmen. Eine solche Flexibilität hat man bei einem Job im klassischen Unternehmen, mit definierten Aufgaben und festen Strukturen, nicht.“
„Zeit ist in der Beratung eine Dimension, die man zu gestalten wissen muss.“
Susann Bäck, Consultant bei Bain & Company
„Vor zehn Jahren haben die Bewerber verglichen, wie schnell man bei welcher Beratung Partner wird“, sagt Dr. Thomas Fritz, Personalchef bei McKinsey. „Heute fragen sie uns: Wie individuell kann ich bei McKinsey meine Karriere gestalten? Ist es möglich, mal eine Pause zu machen, um für die Familie da zu sein oder eine Weltreise zu machen?“
Unternehmensberatungen haben diesen Wertewandel der Berufseinsteiger aufmerksam mitverfolgt und reagiert: Die Arbeitsmodelle von heute sind flexibler als früher. Neben der stereotypischen Beraterwoche mit 60 Stunden, ist auch Arbeit in Teilzeit möglich; neben der allwöchentlichen Dienstreise gibt es die Möglichkeit zu längeren Auszeiten für die Erfüllung persönlicher Wünsche. Dass die Work-Life-Balance im Consulting trotz aller Angebote häufig ein Balanceakt ist, darin sind sich viele Berater einig. Jeder Einzelne von ihnen meint jedoch: Es lohnt sich.
Gerade das Fordernde der Consulting-Branche ist das, was die Arbeit für viele so reizvoll macht. „Klar, ist es manchmal anstrengend“, sagt Accenture-Beraterin Daniela Mitterbuchner. „Aber dafür gibt es auch immer Abwechslung mit neuen Kunden, Arbeitsorten, Blickwinkeln und Herausforderungen.“ Anna Bode von A.T. Kearney stimmt ihr zu: „Mein Job ist fordernd, aber das ist genau das, wonach ich gesucht habe. In jedem Projekt lerne ich neue Menschen und Themen kennen. Alles andere wäre mir zu langweilig.“ Felicia Lonne von Roland Berger schwärmt: „Auch nach zwei Jahren habe ich das Gefühl, noch längst nicht ausgelernt zu haben.“
Mit den flexibleren Arbeitsmodellen und möglichen Pausen lassen sich Consulting-Karriere und Familie inzwischen erfolgreich vereinbaren. Der Beruf des Unternehmensberaters erfüllt zudem aber auch andere Kriterien, auf die Generation Y großen Wert legt: Er bringt Abwechslung, Spaß, eine steile Lernkurve und die Gewissheit, an Projekten mit Relevanz zu arbeiten.
Autorin: Silvia Schilling
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