„Man muss gerne Dienstleister sein, um ein guter Berater zu sein “
Capgemini Invent ist die globale Geschäftseinheit der Capgemini Gruppe für Digitale Innovation, Beratung und Transformation. Felizitas Graeber ist Teil des Executive Committee Central Europe sowie verantwortlich für den Bereich Innovation & Strategy. Im Interview spricht die Münchnerin über Transformationsprojekte, Mitarbeiterprofile und ihre Rolle als Working-Mum.
Capgemini Invent wurde vor einem Jahr aus Capgemini Consulting sowie Design-, Intelligence- und Innovationsfirmen gegründet, um Kunden bei der Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle zu helfen. Welche Fragestellungen haben Kunden und womit helfen Sie diesen?
Die Bandbreite ist groß – von Zukunftsstrategien mit Fokus auf Digitalisierung, Innovationsprozessen, neuen Customer-Engagement-, Supply-Chain- oder Technologie-Konzepten über neue, flexible und agile Organisationsformen, die die neuen Anforderungen möglich machen, bis hin zur systematischen Veränderung von Führung und Kultur. Wir bieten diese Themen mit funktionalen Experten-Practices aber auch industriespezifisch mit konkreten Offerings an. Wir erprobten aber auch ganz neue Ansätze. In jedem Fall haben wir die Persönlichkeiten mit den richtigen Fähigkeiten in unseren Teams und sind in der Lage, global für unsere Kunden zu arbeiten. Das wird immer wichtiger.
Wo liegen die Engpässe der Unternehmen – eher in der Ideenfindung oder in der Umsetzung?
Beides sehen wir, oft unterstützen wir gerade eben den Innovationsprozess an sich, aber bei vielen unserer Kunden sind gute Ideen sehr wohl vorhanden. Es wird verstanden, woran es hakt oder in welche Richtung man gehen muss. Aber von dieser Erkenntnis bis zu den wirklich passenden Lösungen und der nachhaltigen Transformation ist es ein anspruchsvoller Weg. Dieser Weg muss systematisch auf- und umgesetzt werden.
Insbesondere bei Digitalisierungsfragen gibt es immer noch viele Verständnis- und Akzeptanzthemen, das Schließen der Lücken in den Fähigkeiten der Mitarbeiter und Führungskräfte, also das mutige Angehen einer Kulturrevolution. Große Veränderung ist nie leicht für Menschen. Wenn es einhergeht mit fachlichem Neuland und der Verabschiedung lange gelebter Zusammenarbeitsmodelle und Kulturen, ist umso mehr Kraft gefragt.
Es ist heutzutage in der Beratung notwendig, ganz konkrete Produkte, Konzepte und Services zu entwickeln
Felizitas Graeber, Capgemini Invent
Wie weit geht die konkrete Produktentwicklung bei Capgemini Invent im Auftrag von Kunden?
Es ist heute in der Managementberatung absolut notwendig, auch ganz konkrete Produkte, Konzepte und Services entwickeln zu können. Es gibt zahlreiche Beispiele von Produktinnovationen und Produkt- oder Servicedesign. Wir entwickeln zum Beispiel gerade für ganz traditionelle Unternehmen im Energie- oder Konsumgüterbereich Plattformen, die sie wie völlig neue Offerings an ebenfalls ganz neue Kundengruppen vertreiben können. Das bedeutet neue Geschäftsmodelle, neue Produkte, neue Marktmechanismen.
Wie sehr fordert es Unternehmen, die gesamte Belegschaft im Rahmen einer Neujustierung des Geschäftsmodells mitzunehmen? Was sind die besonderen Herausforderungen und wie unterstützen Sie Ihre Kunden dabei?
Unternehmen sind aktuell auf so vielen Ebenen gefordert. Die bereits angesprochene Angebots-Ebene ist ja nur das eine, um sich dann als Organisation neu zu erfinden. Um die „Skill-Gaps“ der Mitarbeiter zu schließen, bedarf es vor allem einer klaren Vision und Planung, aber auch eine völlig neue Art der Führung. Unser Anspruch ist es daher, ganz eng mit unseren Kunden von der Vision bis hin zum Coaching der wichtigen Vorbildrollen zu arbeiten.
Wichtig ist es auch, eine gleichzeitig ambitionierte, aber auch realistische Umsetzungstaktung zu entwickeln. Führungskräfte sind für mich der kritische Faktor hierbei – wobei in erster Linie die Dimensionen Vorbild sowie Unterstützungs- und Entwicklungsrollen gefragt sind. Fachlichkeit wird bei den zentralen Führungsrollen mehr und mehr in den Hintergrund treten.
Sie sind unter anderem Head of Innovation & Strategy. Wie haben Sie sich gerade in dem Bereich digitaler Innovationen das notwendige Know-how erarbeitet und was raten Sie Studierenden, mit welchen Methoden zur Innovationsentwicklung sie sich früh vertraut machen sollten?
Das ist ja das Spannende in der Beratung: Man muss sich selber extrem schnell weiter entwickeln, da man ja immer einen Kenntnisvorsprung haben möchte, beziehungsweise auf jeden Fall auf Augenhöhe mitdiskutieren muss. Wir haben vor vielen Jahren eine Partnerschaft zum Thema Digitale Transformation mit dem MIT gestartet und ich habe mich früh in die Themen eingearbeitet, mich mit Kollegen und Experten dazu ausgetauscht, gezielte Trainings und Foren besucht, Erfahrungen gesammelt.
Unser Trainingsportfolio passen wir permanent an und ich nehme selber auch viel davon in Anspruch. Zum Beispiel haben wir eine Digitale Zertifizierung, die man machen kann. Ich wollte natürlich mit gutem Beispiel voran gehen und direkt nach dem Launch vor einigen Jahren selber auf einem hohen Level zertifiziert sein. Das bedeutete allerdings viele Abende an Open-Online-Courses und etliche Tests, aber so etwas bringt extrem viel.
Noch nicht alle Universitäten haben Lehrangebote zu Themen wie Digitalisierung, Big Data, AI oder Digital Manufacturing
Felizitas Graeber, Capgemini Invent
Ich sehe leider noch nicht alle Universitäten mit entsprechenden Angeboten. Wenn ich mich erkundige, was in den Wirtschaftsstudienprogrammen heute zu Digitalisierung, Big Data, AI oder Digital Manufacturing konkret gelehrt wird, sehe ich noch nicht, dass das überall ausreichend angekommen ist. Das heißt, es sollte jeder für sich ein gewisses Zusatzprogramm starten. Zum einen wird viel veröffentlicht und zum anderen kann man sich ja extrem schnell digital weiterbilden. Und warum nicht mal ein paar Kurse besuchen, wie eine Design-Thinking-Session, einen AI-Workshop oder eine Agile-Coach-Ausbildung machen?
Sie beraten auch Unternehmen der Automobilbranche. Man hat manchmal den Eindruck, dass Meinungsmacher wie Elon Musk, die Elektrifizierung oder Alphabet mit ihren doch wenigen auf Level 5 autonom fahrenden Autos die Schrittmacher einer öffentlichen Meinung sind, die vor allem dem eigenen Börsenwert zugutekommt. Was werden am Ende die entscheidenden Fragen für die Autoindustrie sein?
Ich selber bin viel und gerne in der Automobilbranche unterwegs. Hier stellen sich aktuell Herausforderungen wie selten zuvor. Ich sehe ein Unternehmen wie Tesla als wichtigen Herausforderer. Was dort entwickelt und auch realisiert wurde, nicht nur an Produkten, sondern vor allem auch in der Entwicklung, Produktion, dem Angebot am Tankstellennetz und vielem anderen, verdient einfach Anerkennung und muss die klassischen OEMs antreiben, sich selber neu zu erfinden. Was sich letztendlich wirklich massentauglich und auch technologisch durchsetzen wird, zeichnet sich in einigen Bereichen wie der E-Mobilität bereits ab.
Dass es neue Wege der Distribution geben wird, ist auch klar. Autonomes Fahren wird technisch möglich werden, aber es birgt Aspekte wie ethische Entscheidungen, die den Einsatz noch bremsen werden. Auf den Autobahnen wird sich das aber sicher früher und einfacher realisieren lassen. Und auch in vielen anderen Bereichen wird jetzt Unvorstellbares bald Realität sein. Entscheidungen werden fundierter getroffen, wenn sie auf riesigen Datenmengen beruhen. Wenn wir an die Möglichkeiten für die Medizin denken und was hier derzeit in der Entwicklung ist, wird auch viel Positives dadurch entstehen. Auf der anderen Seite müssen die Grenzen und Eingriffe natürlich streng beobachtet werden. Ich sehe also nicht nur einen PR-Hype, sondern wirklich völlig neue Möglichkeiten. Auf diese sollte man einen genauen und vor allem informierten Blick behalten.
Ist die Elektrifizierung für die Hersteller die größere Herausforderung oder der Wandel vom reinen Hardwarehersteller in Richtung eines Softwareunternehmens?
Die Elektrifizierung macht Antriebe auf einmal völlig einfach. Also sehe ich die Herausforderungen eher in der Batterie- und Ladeleistung und dem Weiterdenken der Mobilitätsangebote insgesamt. Die Neuausrichtung der Unternehmen hin zu dem, was sie einmal sein können und was genau sie anbieten, finde ich deutlich komplexer und interessanter. OEMs werden zu Technologie- und Softwareanbietern, zu Datenverarbeitern und Serviceunternehmen. Das ermöglicht Diversifizierungen in völlig andere Industriezweige und stellt zudem die Frage, wer in welcher Rolle künftig die klassische Entwicklung und Produktion übernimmt.
Als Berater-Persönlichkeit überzeugt man nur, wenn man die Probleme genau versteht und sich ehrlich und ernsthaft damit auseinandersetzt
Felizitas Graeber, Capgemini Invent
Um als Sparringpartner vom Top-Management geschätzt zu werden, muss man ein eigenes, starkes Profil haben. Was für eine Beraterpersönlichkeit erwarten Vorstände, die es als Alpha-Typen in der Regel nicht gewohnt sind, Empfehlungen von außen aufzunehmen?
Meine Erfahrung ist, dass man als Berater für das Top-Management einen Blick von Außen mitbringen muss, gepaart mit fachlicher Expertise, exzellenter Analytik und geschärfter Urteilsfähigkeit. Zudem sollte man ein Gespür für Organisationen und Menschen haben. Viele Inhalte sind klar, aber die Transformation und die Brücke zu allen Mitgliedern der Organisation sind Kernthemen.
Als Berater-Persönlichkeit überzeugt man nur, wenn man die Probleme genau versteht und sich ehrlich und ernsthaft damit auseinandersetzt. Mein eigener Anspruch ist, ein Berater auf Augenhöhe zu sein, der wirklich etwas bewegt. Ich habe fast nur gute Erfahrungen mit der Offenheit auf Kundenseite gemacht. Viele Vorstände und hohe Führungskräfte von heute sind offen für Inspiration und Begleitung. Mir bedeutet es viel, wenn ich um eine fachliche Einschätzung gebeten werde und im nächsten Moment noch um ein persönliches Coaching. Wie gesagt – der Anspruch an Führung von heute ist enorm.
Sie sind auch Mitglied des Executive Committee Zentraleuropa. Wie sehr tragen Sie dadurch Umsatzverantwortung?
Als Executive Team sehen wir uns in der Verantwortung für die Strategie und den geschäftlichen Erfolg auf der einen Seite, aber auch für die Organisation, die Kolleginnen und Kollegen auf der anderen Seite. Ich teile meine Zeit und Energie auf in Führungsthemen für Capgemini Invent und Kundenthemen. Dabei geht es aber nicht vorrangig um Akquise. Vor allem bin ich auch weiterhin und am liebsten bei unseren Kunden auf Projekten dabei und arbeite an den Problemstellungen mit. Da liegt meine Passion, darum bin ich immer noch in der Beratung.
Trotz Ihrer Führungsposition arbeiten Sie als Mutter für Capgemini Invent in Teilzeit. Wie organisieren Sie Ihren Alltag zwischen Beruf und Familie?
Wie für alle Working-Mums ist das ein täglicher Balance-Akt. Wenn man mich nach meinen Erfolgsfaktoren fragt, sind das vor allem mein Mann, der mich voll unterstützt sowie gute, private Betreuungseinrichtungen.
Alle sind bei Capgemini Invent darauf bedacht, dass sich Beruf und Familie für Mütter und Väter sowie auch alle anderen verbinden lassen
Felizitas Graeber, Capgemini Invent
Ich habe das Glück, dass Capgemini Invent extrem unterstützend war und ist. Jegliche Teilzeit-Modelle, die ich über die Zeit wahrgenommen habe, waren möglich. Meine etwas geringere Flexibilität und unterschiedliche Arbeitszeiten werden respektiert. Insgesamt sind alle darauf bedacht, dass sich Beruf und Familie beziehungsweise Privatleben für uns Mütter und Väter sowie auch alle anderen verbinden lassen.
Wir haben eine eigene „Work better, live better“-Initiative und das Motto „wer macht als letzter das Licht aus“ ist wirklich überholt. Dennoch ist es ein anspruchsvoller Job und daher weiterhin nicht einfach, die tägliche Balance für sich zu finden und dem eigenen Anspruch als Mama, Partnerin, Privatperson und Führungskraft gerecht zu werden. Rahmenbedingungen und Unterstützung sind vorhanden, aber was ich genau für mich will, das bleibt eine stets aktuelle Frage, die ich auch immer wieder neu justiere.
Welche Mitarbeiter suchen Sie bei Capgemini Invent und was bieten Sie diesen?
Wir haben ein wirklich breites Spektrum an Profilen, die wir suchen. Vom klassischen Wirtschaftswissenschaftler, den Ingenieuren, über Technologie-Experten, bis hin zu Designern und Psychologen ist da alles dabei. Das macht es ja so spannend. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Beratung eine extreme Lernkurve ermöglicht und die Umgebung sehr viel entspannter und persönlicher ist als in vielen anderen Unternehmen. Bei uns fühlt sich wohl, wer Lust auf Beratung und Projektarbeit hat, sowie umsetzungsorientiert und nachhaltig arbeiten will.
Wir bilden mit unseren Kunden immer ein gemeinsames Team. Ich halte uns nach innen wie nach außen für stärker, wenn wir menschenorientiert agieren. Wir fördern Team-Player mit starken Werten, keine Ellbogen-Typen. Wir arbeiten schließlich viel international und divers, was Offenheit und große Sensibilität für andere voraussetzt.
Was sind die wichtigsten Dinge, die man im Consulting mitbringen muss, um als Beraterin Karriere zu machen?
In die Rolle als Berater muss man schon auch wirklich passen. Zum Beispiel ist starkes analytisches Denken etwas, das einfach vorhanden sein muss – dazu Strukturierungsfähigkeit und eine gewisse Extrovertiertheit. Intern wie extern lebt man von Netzwerken. Man muss gerne Dienstleister sein, denn genau das ist man für den Kunden. Nur, wer das gerne ist, ist auch gut darin, Berater zu sein.
Ich suche bei Bewerbern Begeisterungsfähigkeit und den Wunsch, früh Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig muss man aber immer offen für Feedback und Weiterentwicklung sein. Stärker gefragt ist heute sicherlich Kreativität und Technologie-Verständnis. Es gibt auch immer mehr Experten-Karrieren parallel zu klassischen Berater-Pfaden.
Wenn Sie heute noch einmal als junge Studentin mit Anfang 20 studieren würden und den Berufswunsch Consulting hätten, welche Schwerpunkte würden Sie dann setzen?
Zunächst einmal würde ich mir vielleicht mit allem etwas mehr Zeit lassen. Ich bin vom Abi in die Uni gesprungen, habe super schnell studiert, neben BWL gleich noch Psychologie im Nebenfach, ein Wirtschaftsenglisch-Diplom, Auslandsstationen … alles im Galopp. Natürlich muss es eine gute akademische Linie geben, die Sinn macht. Und ich finde nicht, wie einige andere, dass das in der Uni Erlernte nicht relevant in der Praxis ist. Ich benötige mein Handwerkszeug sehr wohl. Ich empfehle Beratung übrigens eher mit einem Master, als direkt nach dem Bachelor.
Aber mich beeindrucken auch besondere Engagements, etwa im sozialen Bereich. Auslandsaufenthalte sind heute absolutes Muss. Ich möchte Leidenschaft für etwas sehen, wie Musik, Kulturen oder Sport – vielleicht auch schon unternehmerische Versuche. Auf jeden Fall muss man sich schon einige Firmen und Richtungen einmal angesehen haben, um den Blick dafür zu schärfen, was man wirklich möchte. Jeder sollte zudem reflektieren, was einem leicht fällt und wo man echtes Talent hat. Darauf kann man als Berufseinsteiger am besten aufbauen, denn Neues lernen wird man ohnehin das gesamte Berufsleben lang.
Also – wer Lust auf Teamarbeit, Herausforderungen und Internationalität hat und mit Leidenschaft für seine Ideen einsteht, der ist bei uns genau richtig – bringing to live what’s next.
Felizitas Graeber, Capgemini Invent
Felizitas Graeber, Executive Vice President, leitet seit vielen Jahren den Strategiebereich der Managementberatung der Capgemini Gruppe. Seit dem Launch von Capgemini Invent ist sie zudem Mitglied des Executive Committees Central Europe. Sie startete in der Beratung nach ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften mit einem Fokus auf Innovations- und Technologiemanagement sowie Wirtschaftspsychologie an der LMU München und Auslandsstationen in Paris und New York.
Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer 9-jährigen Tochter in München.