Inside Bain: Wie laufen die Interviews bei Bain & Company ab?
Den Bewerbungsprozessen bei Beratungsgesellschaften haftet häufig etwas Elitäres, Exklusives und Geheimnisvolles an. Schließlich geht es um die Auswahl der Besten eines Jahrganges. Umso gespannter waren wir, als die internationale Managementberatung Bain & Company junior//consultant einlud, bei so einem Auswahlverfahren dabei zu sein und einen Kandidaten durch die heiße Phase des Bewerbungsprozesses zu begleiten.
In München am Ende der Fußgängerzone direkt neben dem Karlsplatz, den Einheimische Stachus nennen, liegt die Deutschlandzentrale von Bain & Company, einer der führenden und größten Managementberatungen weltweit. Das Münchner Büro ist weltweit nach Boston und London der drittgrößte Standort. Im zurückhaltenden und modernen Foyer stehen drei Besuchersofas. Als ich die Eingangshalle betrete, sitzen dort schon zwei junge Männer im Anzug, die freundlich „Guten Tag“ sagen. Direkt nach mir kommen weitere vier Kandidaten, alle mit kleinen Businesstrolleys und Notebooktaschen ausgerüstet. Die dezenten Anzüge sitzen gut. Einer der Bewerber macht sehr unkompliziert die Runde („Ich stelle mich einfach mal vor!“), Hände werden geschüttelt, man kommt ins Gespräch. Schnell ist klar, es handelt sich – außer mir – um die Kandidaten des heutigen Bain Bewerbertags.
Nach dem ersten Kennenlernen folgt eine kurze Firmenpräsentation, die Einblick in die Unternehmenskultur gibt
Und dann geht es auch schon los. Wir werden alle zusammen in einen Besprechungsraum gebeten, setzen uns um einen großen Tisch und werden von einem Berater der Consultingfirma begrüßt. Ein kleiner Rolltisch wird hereingeschoben, auf ihm drapiert Fingerfood, Kaffee und Kaltgetränke. Das ist angenehm für die Kandidaten, finde ich, denn es ist mittags und einige werden direkt vom Bahnhof oder vom Flughafen kommen. Das Kandidatenfeld der Nachmittagsrunde ist von den Fachbereichen her bunt gemischt, drei der sechs Absolventen promovieren gerade, zwei sind Mathematiker, drei Wirtschaftswissenschaftler und einer ist Wirtschaftsingenieur. Wer hier sitzt, hat die ersten Bewerbungshürden bereits genommen und klare Vorstellungen von seiner Karriere. Herausfordernde Aufgaben, Eigenverantwortung, Internationalität, kollegiale Zusammenarbeit, auch auch die Balance zwischen Beruf- und Privatleben sind die Anforderungen an den potentiellen Arbeitgeber.
Dem Bain-Berater Dr. Daniel Arand ist wichtig, dass alle Kandidaten zunächst mehr über das Unternehmen erfahren. An dieser Stelle nur das wichtigste in Kürze: Weltweit 6.400 Mitarbeiter, davon 750 im deutschsprachigen Raum, sechzig Prozent aller Beratungsaufträge werden erfolgsabhängig entlohnt, 85 Prozent der Kunden buchen Folgeaufträge bei Bain und das Beratungsunternehmen schafft es, im Durchschnitt das fünfzehnfache der Beratungshonorare an Ertrag oder Kostensenkung für die Kunden zu erwirtschaften. Dass man solche Leistungen nur mit exzellent ausgebildeten Mitarbeitern schafft, ist eine Tatsache.
Die Vorauswahl ist effizient, denn im Fokus steht, geeignete Kandidaten zu finden – und nicht, ungeeignete herauszuselektieren.
Daniel Arand, der als Manager nur eine Stufe unter der eines Partners steht, ist aber auch eine weitere Botschaft sehr wichtig: „Neben einem hohen Spaßfaktor und einer Menge Humor haben wir bei Bain eine ‚one team attitude‘.“ Diese wird in einem der Leitsätze des Unternehmens präzise auf den Punkt gebracht: „A Bainie never lets another Bainie fail!“. Das Unternehmen sieht sich darüber hinaus in seiner Arbeitsweise vor allem als pragmatisch, team- und ergebnisorientiert und verkürzt all dies in dem Begriff „True North„.
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Am Ende der Unternehmensvorstellung werde ich von der Recruiting Koordinatorin in ein anderes Besprechungszimmer begleitet. Dort treffe ich auf weitere Berater von Bain. Auch hier steht ein kleines Buffet mit Kleinigkeiten zu essen und zu trinken. Warum wird schnell klar. Die Berater, die ebenfalls fast alle Manager sind, hatten morgens schon einen ersten Schwung an genauso sorgfältig vorselektierten Bewerberinnen und Bewerbern, mit denen sie Vorstellungsgespräche geführt haben.
Insgesamt sind am heutigen Tag dreizehn Kandidaten zum Auswahlverfahren eingeladen. Jeder von ihnen führt ein Persönlichkeitsinterview und muss in zwei weiteren Interviews unterschiedliche Fallstudien lösen. Das ist nicht nur für die Bewerber anstrengend, wie mir die Berater versichern. Aber die Interviewer wirken aufgeräumt und erwartungsfroh. „Wenn wir nach einem Bewerbertag gute potentielle Mitarbeiter gefunden haben, dann ist das für alle Beteiligten ein tolles Ergebnis. Der schlechteste Bewerbertag ist derjenige, an dem wir keinen Bewerber finden“, erklärt mir Manager Dr. Philipp Weiherl. Zum Glück käme das aber selten vor, dazu sei die Kandidatenauswahl im Vorfeld schon zu genau.
Wichtig sei auch, dass neben den fachlichen und wissenschaftlichen Leistungen die Kandidaten gut ins Team passen. Daher sei die Bewerberauswahl so aufwendig. Bei Bain gilt das 4-Augenprinzip. Ein Recruitingteam wählt aus mehreren tausenden Bewerbungen mit großer Sorgfalt die Kandidaten aus, die zum Recruitingtag geladen werden. Diese finden alle zwei Wochen statt. Wer aus Bain-Sicht den Prozess sehr gut und strukturiert durchläuft, bekommt noch am selben Tag positives Feedback und wird zur zweiten Runde eingeladen. So, wie sich die Berater äußern, machen sie den Eindruck, gerne geeignete Kandidaten finden zu wollen und nicht den Fokus darauf zu legen, ungeeignete herauszuselektieren.
Die Cases im Auswahlverfahren sind nicht ohne – nur wer gezielt nachfragt, hat überhaupt eine Chance, sich den richtigen Lösungsansatz zu erarbeiten
Manager Dr. Hannes Hauswald ist der erste Bain-Mitarbeiter, den ich zu seinem Vorstellungsgespräch begleite. Der Kandidat heiß Sven*, ist Wirtschaftsingenieur aus Braunschweig und beendet gerade seine Masterarbeit. Er wurde natürlich vorher befragt, ob er einverstanden sei, dass ein Journalist zwei seiner Vorstellungsgespräche begleitet. Er hat nichts dagegen, was ich sehr souverän von ihm finde. Ich selber hätte in seiner Situation eher nicht zugestimmt. Hoch aufgeschossen ist er, wirkt sportlich und durchtrainiert, hat sehr gute Umgangsformen und macht einen abgeklärten Eindruck. Bei einem großen Automobilkonzern hat er ebenso sehr erfolgreich ein längeres Praktikum absolviert, wie bei einer anderen Top-Strategieberatung im Nahen Osten. Seitdem hat er den Wunsch, seinen Berufseinstieg in dieser Branche zu suchen. Er ist teilweise in den USA aufgewachsen, hat unter anderem in Lateinamerika studiert. Seine Noten sind ausgezeichnet, seine Augen hell und wach.
Nach den üblichen Fragen nach Stärken und Schwächen und Motivation, warum er gerade die Consultingbranche und Bain im Speziellen so interessant findet und die er sehr schlüssig beantwortet, geht es zum ersten Business-Case.Und der ist gar nicht ohne: Hannes Hauswald schildert einen realen Fall aus dem Beratungsalltag, den er selber zu lösen hatte. Ein großer Technologiekonzern, der sowohl Produkte für Privat- als auch Firmenkunden herstellt, sieht sich in einem außereuropäischen Markt mit dem Problem konfrontiert, dass seine Umsätze stagnieren. Das Marktumfeld ist gut, das Unternehmen einer der Marktführer. Worin liegen die Probleme begründet und wie sollte das Unternehmen reagieren? Ich finde ja, dass das erst einmal überschaubar wenige Informationen sind und denke nach, was ich an der Stelle von Sven jetzt sagen würde. Der ist aber erst einmal unbeeindruckt, erbittet sich eine Minute Bedenkzeit, schreibt ein paar Stichworte auf ein Blatt Papier und stellt schon vor Ablauf der einen Minute gezielte Fragen, was an dieser Stelle auch eindeutig gewünscht ist. Sven will mehr Informationen: Über die Produkte, den Markt, die Preispolitik, die Werbemaßnahmen, die finanzielle Situation des Unternehmens, die Kosten, die Wettbewerber.
Aber er fragt leider zu wenig konkret und dringt nicht zur Lösung vor, sondern bleibt am Rand des Problems. Er löst den Fall letztlich, aber Bain-Berater Hannes Hauswald führt ihn mehr zur Lösung, als dass der Wirtschaftsingenieur sie selbst durch gezieltere Fragen und Schlussfolgerungen erarbeitet.
Nach dem Interview gehen Hannes Hauswald und ich in den Teamraum der Interviewer zurück. Nach und nach füllt sich der Raum auch mit den anderen Beratern. Es ist still, nur Notebooktasten, die von Fingern heruntergerückt werden, sind zu hören. Die Gesprächsergebnisse werden erfasst.
Nach zehn Minuten konzentriertem Protokollieren geht es zum zweiten Business-Case. Das Prozedere des Auswahlverfahrens ist das Gleiche wie beim ersten Fall: kurze, beiderseitige Vorstellung, ein paar Fragen an Sven zur Person und dann kommt der nächste Case. Nur diesmal wird das gesamte Gespräch auf Englisch geführt. Für Sven kein Problem, er spricht akzentfrei und auch Fachvokabeln sind ihm geläufig. Diesmal geht es um einen Firmenkauf. Ein deutsches Unternehmen kauft ein amerikanisches. Zwei DIN-A4-Zettel liegen auf dem Tisch: Eine Excel-Tabelle und ein Word-Dokument auf dem die Produkte der beiden Firmen verglichen werden. Zentrale Frage: Könnte sich der Firmenkauf für das deutsche Unternehmen lohnen? Sven schlägt sich am Anfang gut, stellt kluge Fragen, verliert sich dann aber in Details. Letztlich kommt er auf die Lösung, muss aber vom Manager Dr. Philipp Weiherl „an die Hand genommen“ werden. Der zweite Teil der Aufgabe, schnell die relevanten Zahlen in der Excel-Tabelle zu finden und daraus im Kopf ein Ergebnis zu errechnen, macht ihm keine Probleme.
Die Summe der Urteile entscheidet, wer in die nächste Runde kommt. Heute waren es drei von 13 Kandidaten.
Bei dem dritten Interview bin ich nicht dabei und bekomme stattdessen eine Führung durch das Unternehmen. Die Mitarbeiter machen alle einen entspannten Eindruck und grüßen sehr nett. Die Atmosphäre ist hell und freundlich.Später werde ich dann noch einmal in das Besprechungszimmer eingeladen. Wird Sven genommen? Ich bin mir unsicher. Ich fand ihn sympathisch, engagiert und spüre, dass er gerne hier arbeiten möchte. Die Entscheidung ist knapp. Von drei Beratern sagen zwei: „Leider nein!“ und einer „Ja, den können wir nehmen.“ Die Recruiting-Koordinatorin hakt noch einmal nach. Die Berater präzisieren: Guter Typ, passt ins Team, sehr höflich, gute Umgangsformen, hat Drive, klare Kommunikation und hat sich gut verkauft. Aber beim Lösen der Fälle war er nach Meinung der Berater nicht ausreichend zielgerichtet und lösungsorientiert in der Fragestellung und bei der Bearbeitung der Cases und hat zu viel Unterstützung benötigt, um die Fallstudie zu strukturieren und zu lösen. Am Ende des Recruitingtags sind die Interviewer zufrieden: Drei der Kandidaten schaffen es in die nächste Runde, in der zwei weitere Gespräche mit Bain-Partnern folgen. Um Sven mache ich mir wenig Sorgen. Er hatte mir angedeutet, dass Case-Cracking (noch) nicht seine Spezialdisziplin ist. Er wird es lernen. Jeder erfolgreiche Berater sagt einem, dass einer der tollen Aspekte des Beraterberufs das ständige Lernen ist. Bei seiner nächsten Bewerbung wird Sven von den Erfahrungen in München profitieren.
* Name von der Redaktion geändert