Eine Betrachtung von Fiona Czerniawska, Mitbegründerin und Direktorin von Source Global Research, einem weltweit führenden Forschungsunternehmen im Consulting
Meine Arbeit besteht zu einem großen Teil daraus, leitenden Führungskräften auf der ganzen Welt unsere Forschungsergebnisse über die Consultingbranche vorzustellen. In aller Regel finde ich mich dabei in einem Raum mit männlichen Teilhabern wieder. Frauen sind selten: Einmal habe ich einen Vortrag vor 250 Partnern gehalten, unter denen sich lediglich zwei Frauen befanden.
Man sieht zwar mittlerweile Veränderungen, doch sie gehen nur sehr langsam vor sich. Und normalerweise gilt für Consultingunternehmen auch: Je höher die Ebene, desto niedriger der Frauenanteil. Dass dies ein wichtiges Thema ist, darüber sind sich bereits alle einig – die Bemühungen für mehr Diversität am Arbeitsplatz und für flexiblere Arbeitszeiten tragen dem Rechnung.
Doch was können wir tun, um diesen Prozess zu beschleunigen? Ich arbeite seit 20 Jahren mit Beraterfirmen und mir fällt immer wieder auf, dass die größten Impulse für Veränderungen nicht von innerhalb der Organisation kommen, sondern von außen, von den Kunden. Also dachten wir uns, dass sich die Dinge vielleicht schneller ändern würden, wenn wir nachweisen könnten, dass ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis nicht nur moralisch richtig, sondern noch dazu gut fürs Geschäft ist.
Wir befragten mehr als 200 unserer Kundinnen und Kunden in großen US-amerikanischen Organisationen zu ihren Ansichten über Frauen in Beratungsteams. Die Organisationen kamen sowohl aus dem öffentlichen Dienst als auch aus der Privatwirtschaft und verteilten sich über viele verschiedene Branchen. Alle hatten sie in den vergangenen zwei Jahren Consulting-Dienste in Anspruch genommen, und 75 Prozent von ihnen gaben an, regelmäßig oder häufig als Sponsoren in Beratungsprojekte involviert zu sein. Zwei Drittel von ihnen waren Männer, ein Drittel Frauen.
Zunächst fragten wir danach, wie häufig sie im Rahmen solcher Projekte mit Frauen zusammengearbeitet hatten. Die meisten antworteten uns, dass sie einen Anstieg von Frauen in Beratungsteams beobachteten, dass Frauen aber nach wie vor in der Minderheit seien. Ganze 20 Prozent der Befragten gaben sogar an, in den letzten beiden Jahren gar nicht mit weiblichen Consultants zusammengearbeitet zu haben. Und wenn in einem Beratungsteam mehrheitlich Frauen vertreten waren, so konzentrierten sich die Projekte in der Regel auf bestimmte Spezialgebiete wie Personalwirtschaft und Change Management, in denen Frauen traditionell ohnehin stärker vertreten sind. Macht das für die Kunden einen Unterschied? Offenbar schon: 90 Prozent von ihnen äußerten den Wunsch nach mehr Frauen in Beratungsteams, und in bestimmten Bereichen lag dieser Anteil sogar noch höher. 92 Prozent der Projektsponsoren und 100 Prozent der Geschäftsleiter sagten dasselbe. Auch die befragten Frauen waren natürlich stark dafür.
„Die Ansicht, Frauen würden immer alles überanalysieren, wird beim Consulting von den Kunden als Vorteil betrachtet.“
Fiona Czerniawska, Source Global Research
Aber was bedeutet das schon? Vielleicht hätten auch 90 Prozent der Befragten angegeben, dass sie als Teil ihrer Projekte gerne mehr Eiscreme hätten, wenn wir ihnen nur die entsprechende Frage gestellt hätten. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass sie sich auch wirklich für die Firma entscheiden würden, die Eiscreme anbietet. Hat das Interesse an einem höheren Frauenanteil auch wirklich Substanz? Wir fragten also nach, was denn der wichtigste Grund dafür sei, dass sie sich mehr Frauen bei Beratungsprojekten wünschten. Der insgesamt größte Anteil unserer Kunden (39 %) nannte als Grund die Qualität der Lösungen, die Frauen ihren eigenen Kunden anbieten. Unter weiblichen Befragten war das Ergebnis mit ganzen 50 Prozent noch überwältigender.
In weiterführenden Gesprächen mit unseren Kundinnen und Kunden trat ein Aspekt klar hervor (und macht vielleicht denjenigen zu schaffen, die im Interesse der Gleichstellung ganz auf Gender-Blindheit setzen): Es werden Unterschiede zwischen Männern und Frauen gesehen hinsichtlich der Schwerpunkte, die sie beim Consulting setzen. Viele der Befragten bezogen sich auf die Bedachtsamkeit von Frauen und ihr Bestreben, lieber ganzheitlich an ein Problem heranzugehen und etwas mehr Zeit aufzuwenden, um die insgesamt beste Lösung für den Kunden zu finden, als möglichst schnell irgendein Resultat zu präsentieren. „Es ist erstaunlich, welchen Unterschied Frauen bei einem Beratungsprojekt machen können“, bemerkte einer der Befragten. Ein anderer meinte: „Sie gehen umsichtiger vor. Sie sind eher bereit, dem Projekt die nötige Zeit einzuräumen, sie überdenken ihre Entscheidungen stärker und räumen mehr Mitspracherecht ein“.
Mit anderen Worten: Das Klischee, Frauen würden immer alles überanalysieren, wird hier von den Kunden als Vorteil betrachtet, da es für sie im Rahmen von Consulting-Projekten wichtig ist, dass das Problem gut durchdacht wird, alle Möglichkeiten ausgelotet werden und die nötige Zeit darauf verwendet wird, die beste Lösung zu finden.
Doch am entscheidendsten könnte hier der Endkunde sein: Die Frage an unsere Kunden bezog sich nicht nur auf den Wunsch nach mehr Frauen im Consulting, um bessere Ergebnisse für die eigene Organisation zu erzielen, sondern auch für deren Kunden. Und es leuchtet völlig ein, dass dies für viele Firmen ein wichtiger Aspekt ist. Während die Firmenkunden von B2B-Unternehmen möglicherweise genauso männerdominiert sind, bewegt sich der Kundenstamm von B2C-Unternehmen in einer weniger konstruierten Welt, in der Frauen eine wichtige Rolle spielen und auf einigen Produktmärkten sogar in der Überzahl sind. Zumindest bis auf Weiteres kann ein Vorteil in dieser Hinsicht also den feinen Unterschied machen und entscheiden, ob ein Auftrag gewonnen oder verloren wird.
„Ein höherer Anteil an Frauen kann den feinen Unterschied ausmachen und entscheiden, ob ein Auftrag gewonnen oder verloren wird.“
Fiona Czerniawska, Source Global Research
Sollten Sie noch nicht ganz überzeugt sein, so gibt es noch ein letztes ausschlaggebendes Argument. Die Erkenntnis, dass sich Kunden „unter ansonsten gleichen Voraussetzungen“ lieber für das Consultingunternehmen entscheiden, das mehr Frauen beschäftigt, lockt wohl zunächst einmal kaum jemanden hinter dem Ofen hervor. Denn hier stehen wir wieder vor der Eiscreme-Frage: Würde Eiscreme unter ansonsten gleichen Voraussetzungen wirklich den Ausschlag geben? Theoretisch kommt es hier darauf an, was mit den „sonstigen Voraussetzungen“ gemeint ist, da uns dies Aufschluss darüber gibt, wie wichtig der Frauenanteil eingestuft wird.Aber der Clou ist der: In den Augen der Kunden sind alle sonstigen Voraussetzungen tatsächlich genau das – nämlich gleich. Wenn man mit Kunden darüber spricht, wie sie die weltweit führenden Beraterfirmen wahrnehmen, ist eine der häufigsten Antworten, dass es keinen Unterschied gibt zwischen den unmittelbaren Wettbewerbern, also zwischen den „Big Four“-Firmen beziehungsweise den verschiedenen Strategiefirmen. Und angesichts der Tatsache, dass diese Unternehmen zunehmend im Revier der anderen zu wildern beginnen (Strategiefirmen werden im Bereich Geschäftsentwicklung tätig, Technologiefirmen im Strategie-Bereich, die Big Four in allen Bereichen), wird es für die Firmen immer schwieriger, sich gegeneinander abzugrenzen. In den Chefetagen vieler führender Consultingunternehmen bereitet diese Problematik bereits schlaflose Nächte.Wer die richtige Strategie entwickelt, hat die Nase vorn. Wer auf das falsche Pferd setzt, hat das Nachsehen.
Vor diesem Hintergrund und gekoppelt mit dem Wissen um die Bedeutung von Frauen in Beratungsprojekten – und zwar auch in führenden Positionen – sollte es für etwas mehr Aufsehen sorgen, dass 70 Prozent unserer Kunden angeben, sich „häufig“ oder „immer“ für die Beraterfirma zu entscheiden, die mehr Frauen beschäftigt (siehe Grafik). Unter weiblichen Befragten steigt dieser Wert sogar auf 86 Prozent an. Allerdings ist die Anzahl der Frauen, die angeben, sich in einem solchen Fall „immer“ für die entsprechende Beraterfirma zu entscheiden, geringer als unter allen Befragten, was vermutlich mit der Sorge zusammenhängt, keine geschlechtsspezifische Voreingenommenheit an den Tag legen zu wollen.
Allerdings sollten wir auch realistisch bleiben: Dies ist zwar ganz offensichtlich ein wichtiges Thema für Kunden, sie setzen sich derzeit jedoch nicht aktiv für Veränderungen ein. Sie hätten zwar gern mehr Diversität in den Teams, aber das bedeutet nicht, dass sie deshalb gleich zum Hörer greifen und sich bei dem zuständigen Partner darüber beschweren. Man könnte sogar sagen, dass das Gegenteil der Fall ist: In unserer Umfrage gaben 89 Prozent der Kundinnen und Kunden an, dass innerhalb ihrer eigenen Organisation nicht genügend Bewusstsein darüber herrsche, welche Vorteile eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in Beratungsteams mit sich bringt.
Trotz alledem ist die Beweislage überwältigend und zeigt, dass Kunden nicht nur mehr Frauen in Beratungsprojekten sehen möchten, sondern dass sie auch gute Gründe dafür haben, diese Meinung zu vertreten. Und obwohl man argumentieren kann, dass der Wettlauf um mehr Frauen in Beratungsteams zum Zweck der Differenzierung ein befristeter ist, lohnt es sich gegenwärtig ganz eindeutig, den Wettbewerbern in dieser Hinsicht einen Schritt voraus zu sein. Mehr Frauen bedeuten für Consultingunternehmen eindeutig einen Marktvorsprung.
Autorin: Fiona Czerniawska, Source Global Research
Fiona Czerniawska ist eine angesehene Kommentatorin der internationalen Consultingbranche und kann auf fast 20 Jahre Erfahrung als Unternehmensberaterin zurückblicken. Sie arbeitet hauptsächlich in den Bereichen Marketing und Strategie und war zunächst für Coopers & Lybrand tätig, bevor sie als Leiterin Strategie- und Unternehmensplanung zu EY wechselte. Sie hat mehrere branchenrelevante Bücher geschrieben, so zum Beispiel The Intelligent Client und folgende Bücher der „The Economist“-Reihe: Business Consulting: A Guide to How it Works and How to Make it Work und Buying Professional Services.Grafik: Umfang, in dem sich Kunden unter ansonsten gleichen Voraussetzungen für die Beraterfirma entscheiden würden, die mehr Frauen beschäftigt.