Was Transformierungsprozesse so schwer macht
Digitalisierung: Ein steiniger Weg und kein Selbstläufer
Digitalisierung wird in der heutigen Wirtschaft ein immer wichtigeres Thema. Richtig konzipiert und umgesetzt bedeutet es eine wesentlich höhere Produktivität und Schnelligkeit der Unternehmen und Dienstleister in ihren Produktionsprozessen zu gleichzeitig signifikant niedrigeren Kosten. Und für die Verbraucher und Kunden bedeutet dies eine bessere, schnellere und qualitativ höherwertigere Dienstleistung oder Produkt – zum gleichzeitig niedrigeren Preis. Also eine super Sache! Gäbe es da nicht den steinigen Weg dorthin, der erst durchschritten werden muss, damit dann am Ende wirklich auch alles für beide Seiten – also für die Unternehmen und für die Verbraucher – so gut wird wie beschrieben.
Eben dieser Weg, den man zu gehen hat, wenn man als Unternehmen die vielversprechende Digitalisierung realisieren und leben möchte, dieser Weg ist es, der derzeit allen große Kopfschmerzen bereitet.
Ist doch die Theorie so schön: Kunde bestellt etwas online. Die Spezifikation wie Größe, Farbe, Beschaffenheit des Produkts sind klar definiert und durch Kennzahlen hinterlegt. Eine automatische Order geht an die Produktion. Ohne Zeitverzögerung wird durch vorhandene oder automatisch bestellte Materialien die automatische Produktion von selbst angestoßen und kurz darauf das maßgenaue Produkt automatisch hergestellt oder beschafft, verpackt, etikettiert, mit der richtigen Adresse versehen und an den Kunden versendet.
Doch das ist noch nicht alles. Auch die Bezahlung wird automatisch angestoßen: Rechnung erstellt, verschickt, überprüft ob, und wann bezahlt, verbucht und letztendlich spiegelt sich jede Transaktion in der Unternehmensbilanz, in der Steuererklärung und im Forecast für die nächste Periode wieder die alle auch automatisch generiert werden. Und das ist immer noch nicht alles. Man hat nun zusätzliche Daten und Informationen vom Kunden generiert, kennt seine Adresse, Präferenzen und Interessen und wertet diese gezielt automatisch zu Marketingzwecken aus, die seinem Kaufverhalten angepasst sind, um mit ihm weiteres Geschäft zu generieren. Das alles ist heute schon möglich. Das ist die sogenannte Digitalisierung der Wirtschaft. Das will jeder haben. Schnell! Zuverlässig! Kostengünstig! Transparent! Und nicht Fehleranfällig! Großkonzerne, Mittelstand und sogar Kleinstunternehmen können von der Digitalisierung profitieren. Auch für die Verwaltung gibt es E-Government und das Papierlose Office …
„Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, intern – also bei den eigenen Mitarbeitern – den ‚Change‘ zu Digitalisierung zu vollziehen.“
Dr. Vinzenz von Holle, Cosmopol
Leider sieht die Wirklichkeit und die Realität in den Unternehmen heute trotz dieser Möglichkeiten meistens noch anders aus. Die digitale Transformation funktioniert in der Praxis nicht so reibungslos wie in der Theorie. Der Grund hierfür ist relativ einfach ausgemacht, erklärt Dr. Vinzenz von Holle, ein langjähriger Spezialist auf diesem Gebiet, der in Europa mit seiner Firma Cosmopol (www.cosmopol.de) die größten Konzerne berät und der zum Thema Transformation promoviert hat: „Um die Produktionsprozesse, Verwaltungsprozesse und das neue Geschäftsmodell umzustellen, reicht es bei weitem nicht aus, nur die entsprechende Software zu implementieren und die notwendigen Daten zu hinterlegen. Und allein das ist schon relativ komplex. Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, intern – also bei den eigenen Mitarbeitern – den ‚Change‘ zu Digitalisierung zu vollziehen. Die Menschen in den Unternehmen müssen in ihren Köpfen, in ihrem Verhalten, in ihrem Tun, Leben, Arbeiten diese Veränderung in ihrer Arbeit täglich vollziehen. Denn die Produktions- und Verwaltungsprozesse und somit auch das Management eines digitalen Unternehmens funktionieren ganz anders. Nichts bleibt so, wie man es früher gewohnt war. Und alle müssen auch wollen und den Change mittragen – also tatsächlich auch jeden Tag die Digitalisierung ‚leben‘. Dies stellt die meisten Mitarbeiter der heutigen Betriebe vor mehrere Herausforderungen gleichzeitig: Sie müssen ihre alten, vertrauten und gelernten Arbeitsweisen über Bord werfen und neue erlernen. Sie müssen wesentlich spezialisierter arbeiten nach genau vorgegebenen Standards. Dadurch werden sie einerseits leichter ersetzbar – durch die Standardisierung, gleichzeitig aber auch schwerer vermittelbar, auf Grund der Spezialisierung auf eine bestimmte Tätigkeit oder Prozesse. Außerdem müssen sie wesentlich flexibler zeitlich und manchmal auch örtlich verfügbar sein, denn wenn ein Unternehmen wie eine Maschine an der Leistungs- und Effizienzgrenze läuft, ist das Risiko des Ausfalls hoch: Ein Glied in der Kette fällt aus – und die Produktion steht still. Das alles kann man natürlich durch Back-ups absichern. Man kann jedoch nicht die Motivation, Bereitschaft und den Willen der Mitarbeiter die nicht zu Unrecht hinter der Digitalisierung auch eine Gefahr für sich sehen, per Verordnung herstellen. Und dies sind zusammen mit dem richtigen Konzept die entscheidenden Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Transformation“, so Dr. von Holle, der auch lange mit Professor Fehr der an der Universität Zürich zu den Themen Verhaltensökonomie und Motivation forscht, gearbeitet hat.
Man kann über die letzten Jahrzehnte eine stetig ansteigende Fluktuation in den Betrieben über alle Branchen hinweg beobachten. Vom Pförtner bis zum Vorstand. Die Konsequenz daraus ist ein stetig kürzerer Planungshorizont. Man überlegt nicht wohin die Reise der jeweiligen Firma führt, sondern macht sich stattdessen Gedanken über den nächsten Jahresabschluss oder Bilanz. Die Digitalisierung der Wirtschaft ist jedoch nicht nur eine kurzfristige Entscheidung oder ein Quick-Win. Die Umsetzung des Konzepts ist sehr komplex und teuer. Risiken sind oft nicht abschätzbar, denn Probleme bei der Umstellung können zu Produktionsausfällen führen die sehr teuer sein können. Und genau an diesem Punkt schließt sich der Kreis, erläutert von Holle, der bereits in den 90er Jahren für die Deutsche Bank an den damals ersten Digitalisierungsprojekten gearbeitet hat, als es darum ging für die Kunden automatische Zugänge zu ihren Konten zu entwickeln damit sie sich mit dem Handy einloggen konnten um Abfragen und Überweisungen durchzuführen.
„Seit damals hat sich zwar technisch viel getan, doch die Probleme und Fehler der Unternehmen bei der Transformation sind leider immer noch die gleichen“, berichtet der Spezialist aus seiner jahrelangen Erfahrung: „Seitens des Top-Managements gibt es oft keine klare Strategie. Es herrscht die Angst, dass grössere Investitionen für die Zukunft kurzfristig die aktuellen Geschäftszahlen belasten. Seitens der Verwaltung und des mittleren Managements gibt es sehr oft kein klares Verständnis- denn hier werden exakte Vorgaben erwartet und die gibt es nicht. Oft fehlen auch wichtige Informationen. Verantwortung wird von oben nach unten abgewälzt – oder noch schlimmer, an Gruppen oder Gremien delegiert. Es gibt keine echten Entscheider, sondern nur noch Ausführer und Verwalter. Die Mitarbeiter sind oft verzweifelt, weil sie verunsichert sind oder im schlimmsten Fall gar nicht wissen, was sie tun sollen, warum und wie. Das Klima ist schlecht, der Druck ist hoch. Die Angst wächst. Niemand möchte einen Fehler machen – deshalb wird Verantwortung immer weitergegeben oder gemieden, wo es nur geht. Wie soll man in solcher Umgebung einen Veränderungsprozess erfolgreich durchführen, bei dem automatisch noch mehr Verunsicherung entsteht, Fehler passieren und vieles durch Try & Error eruiert werden muss? Außerdem sehen Mitarbeiter hinter Veränderungsprojekten oft die eigene Existenz gefährdet. Die Menschen wollen keine Veränderungen, wenn sie verunsichert sind und nicht wissen, wohin die Reise der Firma – und somit ihre eigene – geht. Menschen wollen Sicherheit. Menschen wollen Klarheit. Menschen wollen eine Perspektive. Menschen wollen eine Strategie sehen die sie verstehen und die ihnen die Chance bietet sich weiter zu entwickeln und auch in der Zukunft eine interessante und sichere Stelle zu haben. Sie wollen nicht das, was sie bereits erarbeitet haben aufs Spiel setzen und verlieren. Deshalb ist die Einbindung der Mitarbeiter in die Transformation mit Workshops und Schulungen sowie anderen Weiterbildungs- und Kommunikationsmaßnahmen so enorm wichtig“, erläutert weiter von Holle über seine Erfahrungen aus den zahllosen Mandanten und den jeweiligen Problemstellungen, die er analysiert und ausgewertet hat, um aus ihnen Rückschlüsse zu ziehen und zu lernen. „Schafft man es nicht, die Mitarbeiter für die Transformation zu gewinnen, schafft man die Transformation zur Digitalisierung nicht. Der Mensch ist und bleibt eben der entscheidende Produktionsfaktor“.