Professor Dr. Dietmar Fink im Interview über die Qualität der Beratung
Professor Dr. Dietmar Fink ist Geschäftsführender Direktor der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung (WGMB) in Bonn und Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensberatung und -entwicklung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Professor Fink gilt als anerkannter, aber auch kritischer Begleiter der Beraterszene und ging in der Studie „Consulting Impact Study 2016“ der Frage nach, welche Beratungshäuser beim Kunden tatsächlich die meiste Wirkung entfalten.
Sie haben erneut die Beratungsqualität der Consultinggesellschaften untersucht. Wie sind Sie dabei methodisch vorgegangen und gab es dabei einen Unterschied zu vergangenen Untersuchungen?
Anders als in unseren regulären Studien zu den Kompetenzen und Trends in der Managementberatung, die wir seit 18 Jahren regelmäßig publizieren, haben wir diesmal eine Frage aufgegriffen, die sowohl Berater als auch ihre Kunden seit jeher umtreibt: Welche Beratungsfirma erzielt den größten Impact. Wir wollten also wissen, welche Beratungsfirma ihre Kunden am ehesten dazu bewegen kann, etwas zu tun, was sie ohne den Einsatz der Berater nicht getan hätten. Dafür müssen Berater ihren Kunden Orientierung geben, sie müssen sie motivieren, neue Wege zu gehen, und sie müssen sie entsprechend qualifizieren. Orientieren, Motivieren und Qualifizieren – das sind die drei Eckpfeiler des Impacts. Wir wollten jedoch nicht nur wissen, welche Berater in dieser Hinsicht besonders gut sind. Wir wollten auch erklären, warum manche gut sind, andere aber nicht. Liegt das vor allem an der Kompetenz eines Beraters? Welche Rolle spielt der Faktor Vertrauen? Und können sympathische Berater mehr bewirken als unsympathische? Alles in allem haben wir fast 60 Einzelfaktoren untersucht. Auf dieser Basis können wir den betrachteten Beratungsfirmen ein solides Feedback geben, in welchen Bereichen sie besonders erfolgreich sind und wo es bei ihnen noch hapert.
Und wie profitieren die Beratungskunden davon?
Diese können sich gezielt den Berater heraussuchen, der über genau diejenigen Kompetenzen verfügt, die für ein bestimmtes Projekt am wichtigsten sind. Soll der Berater beispielsweise unangenehme Veränderungen durchsetzen? Muss er gut mit dem Aufsichtsrat kommunizieren? Soll er vor allem als Moderator Hilfe zur Selbsthilfe leisten oder als innovativer Vordenker die Leitplanken der künftigen Strategie mitgestalten? Nicht in jedem Projekt sind die gleichen Fähigkeiten und Fertigkeiten entscheidend, um einen möglichst großen Impact zu erzielen.
Hat Sie etwas bei der Auswertung besonders überrascht?
Zum einen hat es mich überrascht, wie klar sich die Beraterbranche in verschiedene Cluster einteilen lässt: McKinsey, BCG und Bain sind, wenn man so will, die Champions des Marktes. Sie adressieren die richtigen Themen und gelten als versierte Strategen. Analytisch und methodisch setzen sie den Maßstab. Das gilt auch im Hinblick auf ihre Präzision und ihre Kreativität. Motivieren und Moderieren zählt dabei ebenso zu ihren Stärken wie die Kommunikation mit Vorständen und Aufsichtsräten. Ihre größte Schwäche: Sie gelten als arrogant und selbstverliebt. Überrascht hat mich zudem, dass sich Roland Berger doch relativ weit von diesem Spitzentrio entfernt hat. Methodisch kann man das sicherlich nicht eins-zu-eins vergleichen, in unseren früheren Studien war Roland Berger aber immer sehr nah dran an McKinsey und BCG. Vor allem in der Ära von Burkhard Schwenker hat sich Roland Berger exzellent entwickelt. Dass sich die Firma sowohl nach dessen erstem, als auch nach seinem zweiten Abschied aus der Chefrolle die eine oder andere fragwürdige Entscheidung in eigener Sache geleistet hat, das schlägt sich nun auch am Markt nieder.
Zu den unverkennbaren Aufsteigern gehört Ihrer Studie nach Bain.
Das ist richtig. Seit der ehemalige BCG-Partner Walter Sinn das Ruder übernommen hat, bewegt sich Bain unaufhaltsam nach oben. Langsam aber sicher erarbeiten sie sich auch in Deutschland eine stabile Stellung, die ihrer internationalen Position gerecht wird.
McKinsey, BCG und Bain als die großen Strategieberatungen belegen in Ihrem Ranking die ersten Plätze. Da Beratungen nur so gut sein können wie ihre Berater: Was machen die drei im Recruiting anders als ihre Konkurrenz?
Vordergründig suchen McKinsey, BCG und Bain eigentlich ganz unterschiedliche Typen. McKinsey hat einmal das Bild des Insecure Overachievers geprägt – des intellektuellen Überfliegers, der sich charakterlich noch recht gut formen lässt. BCG betont hingegen immer wieder, dass man auch Querdenkern und geistreichen Exoten eine Chance gibt. Da darf es schon mal der Pinguinforscher sein oder der Kirchenmusiker. Solange er analytisch und kreativ herausragend ist. Bei Bain schließlich steht die konsequente Orientierung an Fakten und das Streben nach Resultaten für den Klienten im Vordergrund. So unterschiedlich das auf den ersten Blick erscheinen mag – letztendlich konkurrieren sie doch alle um genau die gleichen Talente. Egal, ob McKinsey, BCG, Roland Berger, Oliver Wyman oder A.T. Kearney. Alle Berater, die sich im Top-Segment des Marktes positionieren, sind darauf angewiesen, dass sie die besten der besten Absolventen für sich gewinnen. Ein wichtiger Punkt ist dabei das Karriereversprechen, das man Neueinsteigern gibt: Wer es schafft, den hohen Anforderungen gerecht zu werden, der kann innerhalb weniger Jahre aus dem Hörsaal in die Partnerschaft einer Beratung aufsteigen. Das ist bei allen klassischen Managementberatern der Fall.
„McKinsey, BCG und Bain sind die Champions des Marktes: Sie adressieren die richtigen Themen und gelten als versierte Strategen.“
Professor Dr. Dietmar Fink
Gelingt es aber McKinsey, BCG und Bain tatsächlich besonders gut, die Besten der Besten für sich zu gewinnen?
Es ist weniger das Geschick, die Top-Talente eines Jahrgangs zu identifizieren. Das können alle großen Berater außerordentlich gut. Es ist vielmehr der Nimbus, der sich mit den drei Firmen verbindet.
Zu McKinsey geht man, weil man dort Bestätigung findet. Ich arbeite für McKinsey? Dann muss ich wohl einer der Besten sein. Denn nur die Besten bekommen ein Angebot von McKinsey.
Zu BCG geht man, weil man etwas Besonderes ist. Ich könnte ja auch für McKinsey arbeiten, ich will es aber nicht. Ich gehe zu BCG, denn ich bin unkonventionell. Ich bin außergewöhnlich.
Und Bain? Bain ist der Platz für die Intellektuellen. Denn Bain ist nicht Mainstream. Bain ist im Vergleich der großen Drei der Underdog. Da geht man hin, wenn man weiß, was man will. Wenn man noch echte Beratung sucht, so, wie BCG früher einmal war. Inwieweit diese Erwartungen mit der Realität korrespondieren, das ist eine Frage für sich. Fakt ist aber: Wer ein Angebot von McKinsey und ein Angebot von Roland Berger hat, der entscheidet sich für McKinsey. Nur BCG und Bain haben eine ähnliche Stellung wie McKinsey. Die restlichen Berater müssen nehmen, was übrig bleibt.
Die Kunden der Consultants bemerken, dass die Berater wenig Profil zeigen würden, gleichzeitig ein arrogantes Auftreten zunehmen würde. Wenn Charismatiker die Ausnahme sind, rekrutiert die Szene dann etwa die falschen Typen?
Arroganz und Charisma sind zwei Phänomene, die man getrennt voneinander betrachten sollte. Ein arrogantes Auftreten kann man vor allem bei jungen Beratern beobachten, die damit eine gewisse Unsicherheit überspielen. Je bedeutender die Aufgaben, mit denen sie konfrontiert sind, desto größer die Unsicherheit und desto größer auch die zur Schau gestellte Überheblichkeit. Das sollte man sich so schnell wie möglich abtrainieren. Hinzu kommt, dass man als Berater schon in jungen Jahren an sehr wichtigen Entscheidungen mitwirken darf. Wenn man dann in der Tagesschau einen Bericht darüber sieht und weiß, dass man einer der Impulsgeber war, dann ist es manchmal nicht leicht, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben.
„Arrogantes Auftreten soll häuftig Unsicherheit überspielen – mit den Jahren verliert sich aber dieses Verhalten.“
Relativieren sich beide Effekte nicht mit den Jahren?
Je länger man dabei ist, desto sicherer wird man im Auftreten und desto reflektierter kann man die wirkliche Bedeutung der eigenen Person einschätzen. Beides führt dazu, dass die Arroganz deutlich abnimmt. Wird in dieser Hinsicht also falsch rekrutiert? Ich glaube nicht. Es gehört einfach etwas Erfahrung dazu, um mit beiden Effekten umzugehen. Vielleicht täten manche Berater allerdings gut daran, jungen Beratern in dieser Hinsicht mehr Orientierung zu geben.
Und wie sieht es mit dem Charisma aus? Haben die großen Berater wirklich keine charismatischen Persönlichkeiten mehr in ihren Reihen?
Aus meiner Sicht haben sie die durchaus. Es ist eher eine selbstauferlegte Zurückhaltung, die die Strahlkraft einzelner Personen bewusst im Zaum hält. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Bloß nicht zu sehr auffallen, um keine Angriffsfläche zu bieten, zum Beispiel. Denn Charismatiker sind meistens provokant und meinungsstark. Doch damit kann man schnell mal anecken und einem wichtigen Kunden auf die Füße treten. Das möchte man heute so gut es geht vermeiden. Früher war das anders. Die großen Beraterveteranen Herbert Henzler, der McKinsey in Deutschland groß gemacht hat, oder Roland Berger haben selten ein Blatt vor den Mund genommen. Sie haben gesagt, was Sache ist, und sie haben ihren Standpunkt souverän verteidigt.
Auch gegenüber Kunden?
Ja. Diplomatisch waren sie im persönlichen Umgang, in der Sache waren sie immer konsequent. Da fehlt einigen Beratern heute der Mut. Was man angesichts der Budgets, die heute auf dem Spiel stehen, vielleicht verstehen kann. Ein zweiter Grund, warum viele Berater davor zurückschrecken, einzelne Personen zu charismatischen Marken aufzubauen, ist der, dass man im Grunde eine Partnerschaft unter Gleichen anstrebt. Kein Partner soll eine allzu herausgehobene Stellung haben – selbst dann nicht, wenn er für einige Jahre zum Landeschef gewählt wurde.
Warum ist das so?
Zum einen, weil es das Ego der übrigen Partner bisweilen nicht zulässt. Zum anderen aber auch, weil man sonst Gefahr läuft, eine Person zu propagieren, die im Zweifel sehr schnell mitsamt ihrer Reputation zu einem Wettbewerber wechseln kann. Beispiele hierfür gibt es zu Genüge. Beatrix Morath etwa, die von Roland Berger zu AlixPartners gewechselt ist und dort sehr erfolgreich das Schweizer Geschäft aufbaut, oder Tammo Andersch, der seine beachtliche Reputation, die er als Partner von KPMG im Restrukturierungsbereich erworben hat, mittlerweile äußerst erfolgreich in seiner eigenen Beratungsfirma fortführt.
„In der Beratung wird man im Laufe der Zeit fast automatisch zum anerkannten Experten für sein Fachgebiet.“
Professor Dietmar Fink
Eine der Aussagen Ihrer Analyse lautet, dass in der Branche mehr der bestandswahrenden „Farmer“ die Geschicke leiten und weniger die „Hunter“, die aktiv Kunden gewinnen. Warum ist das so?
Überspitzt gesagt: Farmer tun sich leichter als Hunter. Es kostet deutlich weniger Zeit und Mühe, einen zufriedenen Kunden zu einem Folgeprojekt zu bewegen, als einen völlig unbedarften Neukunden zu gewinnen. Trotzdem ist beides gleichermaßen wichtig. Oliver Wyman beispielsweise, die für sich den Anspruch reklamieren, die Nummer drei unter den Managementberatern zu werden, sind überaus erfolgreiche Farmer. Wer mit Oliver Wyman arbeitet, ist in den meisten Fällen sehr zufrieden. Hunter sind sie allerdings keine. Wer nicht mit Oliver Wyman arbeitet, der kennt sie häufig nicht einmal.
Im Bankenumfeld, wo Oliver Wyman besonders stark ist, dürfte das anders sein.
Das ist richtig. Über alle Branchen hinweg liegt der ungestützte Bekanntheitsgrad von Oliver Wyman in deutschen Führungsetagen aber gerade einmal auf dem Niveau der relativ jungen Marke Strategy&. Und selbst wenn man ein guter Farmer ist, darf man die Kommunikation der eigenen Erfolge in den Reihen des Kundenunternehmens nicht aus den Augen verlieren. Welche Konsequenzen ein zu defensiver Umgang mit den eigenen Erfolgen haben kann, das sehen wir immer wieder.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Als wir zum Beispiel vor einiger Zeit mit dem Vorstand eines großen Versicherungskonzerns über seine Erfahrungen mit Beratern diskutiert haben, geriet er in helle Begeisterung über ein Projekt, das sein Unternehmen gerade mit Roland Berger gemacht hatte. ‘Das müssen Sie sich unbedingt mal im Detail anschauen. Am besten, ich lasse gleich einen Termin für Sie mit dem Projektleiter ausmachen.’ Als wir einige Tage später mit dem verantwortlichen Mitarbeiter zusammensaßen, hat der die Begeisterung seines Vorstands zwar voll und ganz geteilt, überrascht hat er uns aber dennoch: ‘Das war eines der erfolgreichsten Beratungsprojekte, das ich je erlebt habe. Aber das war nicht Roland Berger. Das war Bain.’ Wenn man sie nicht aktiv gestaltet, dann geht die Wahrnehmung der Kunden häufig ihre ganz eigenen Wege.
Glauben Sie, dass im Zeitalter von Compliance und permanenter Durchleuchtung von Beziehungsgeflechten die hemdsärmeligen Berater-Cowboys alter Prägung einen ähnlichen Erfolg auch heute noch feiern würden oder hätte es heute auch ein junger Roland Berger schwer, auf ganz kurzem Dienstweg die Spitzenpolitiker und Industriekapitäne an sich zu binden?
Ich bin ziemlich sicher, Roland Berger und Herbert Henzler wären, wenn sie noch einmal von vorne beginnen würden, auch heute gefragte Ratgeber. Und exzellente Netzwerker. Denn wenn wir mit Vorständen und Führungskräften aus der Industrie sprechen, dann hören wir immer wieder dasselbe: Sie wünschen sich einen erfahrenen Sparringspartner, mit dem sie sich abseits vom Tagesgeschäft offen und ohne das Korsett der eigenen Organisation über ihre Ideen, ihre Pläne und ihre Zweifel austauschen können. Dieses Bedürfnis haben die großen Beraterveteranen früher geschickt aufgefangen. Zum Wohle ihrer Kunden und zum eigenen Wohle. Heute läuft es allzu oft ins Leere.
Die digitale Transformation gehört zu den großen Aufgabenfeldern, die der Branche Umsatz bringen. Dafür brauchen die Berater nicht nur technologische Kompetenz, sondern auch die Entrepreneurs-Typen, die disruptiv IT und Geschäftsmodelle kombinieren können. Gelingt es solchen Querdenker überhaupt, bei den windschnittigen Beratern anzudocken oder passen sie vom Cultural Fit nicht in die Branche?
Die Frage ist absolut berechtigt. Auf den ersten Blick scheinen die digitalen Top-Talente, die man in der Beraterbranche händeringend sucht, nicht so recht zu den traditionellen, karrierebetonten Beraterkulturen zu passen. Das ist aber nur der erste Blick. Schaut man hinter die Fassade, stellt man schnell zwei Dinge fest. Erstens bieten die großen Strategie- und Managementberater den talentiertesten Querdenkern seit jeher intellektuelle Entfaltungsmöglichkeiten, die man sonst in kaum einer anderen Branche findet.
Und die projektbezogene Arbeitsweise von Beratern, bei der sich fachliche Experten für eine vorab definierte Aufgabe in einem Team zusammenfinden, um sich, wenn das Projektziel erreicht ist, in neuer Konstellation mit einem neuen Team ganz neuen Aufgaben zuzuwenden, entspricht seit jeher den heute populären Arbeitsweisen der digitalen Elite. Im Grunde institutionalisieren Beratungsunternehmen durch ihre flexible Projektorganisation eine interne Gig Economy. Zweitens hat sich auch die Beraterbranche längst an den Zeitgeist angepasst und neue Organisationseinheiten entwickelt, die an vorderster Front um die besten digitalen Talente konkurrieren. BCG Digital Ventures oder das Digital Lab von McKinsey sprechen ganz ähnliche Talente an wie Google.
„IT-Spezialisten in der Beratung: Die projektbezogene Arbeitsweise von Consultants entspricht der der digitalen Elite.“
Professor Dr. Dietmar Fink
Wer sollte sich für Google entscheiden, wer für die Managementberatung?
Für Google spricht eine ganze Menge. Zunächst einmal ganz einfache Dinge. Zum Beispiel deutlich attraktivere Arbeitszeiten und erheblich weniger Reisetätigkeit bei sehr guter Bezahlung. Und man kann sich am Arbeitsplatz auch noch anziehen wie man will. Außerdem beschäftigt man sich weniger mit strategischen Visionen, sondern mit der praktischen Umsetzung guter Ideen. Vor allem aber ist der Auftraggeber immer extrem smart und fordernd. Denn es ist immer Google. Der Fokus auf ein einziges Unternehmen und eine einzige Branche kann einen allerdings auch intellektuell einengen. Ein großer Vorteil einer Beraterkarriere liegt ganz fraglos darin, dass man in kürzester Zeit mit immer neuen Herausforderungen von immer neuen Unternehmen in immer neuen Branchen konfrontiert ist. Das erweitert den Horizont ungemein.
Außerdem kann man in der Managementberatung deutlich schneller aufsteigen als bei Google. Wie wichtig ist dieses Karriereversprechen?
Das Karriereversprechen großer Beratungsfirmen, innerhalb weniger Jahre vom Hörsaal in die Partnerschaft aufzusteigen, ist natürlich extrem attraktiv. Vorausgesetzt, man hält dem strikten Up-or-out-Druck stand. Ein Vorteil in der Beratung ist zudem, dass man Mitarbeiter Nummer 300 und nicht Mitarbeiter Nummer 30.000 ist. Die Bürokratie in einer Mega-Organisation wie Google kann unglaublich demotivierend sein. In der Beratung wird man im Laufe der Zeit außerdem fast automatisch zum anerkannten Experten für sein Fachgebiet. Bei Google wird man zumindest als Betriebswirt kaum zum Star des Unternehmens. Denn den Ruhm ernten bei Google die Entwickler. Und das wahrscheinlich zu recht.
Ist ein weiterer Aspekt, den man nicht vernachlässigen sollte, die Ausstiegsoption?
Durchaus. Bei Google ist die deutlich stärker auf die Tech-Industrien fokussiert. Kommt man aus der Managementberatung, eröffnet sich ein weites Feld attraktiver Möglichkeiten. Google im Lebenslauf ist vor allem in technologienahen Branchen ein Asset. McKinsey funktioniert überall. Wichtiger ist aber vielleicht noch, dass man in der Managementberatung eine ganz spezielle Herangehensweise an Problemstellungen einübt – von der strukturierten Problemanalyse bis hin zur professionellen Kommunikation der Lösungsansätze. Das ist etwas, was man in kaum einer anderen Branche in dieser Intensität und auf einem vergleichbaren Niveau finden kann.
Welche Rolle spielen die spezialisierten Beratungen derzeit?
Seit knapp 15 Jahren sucht unser Institut regelmäßig nach den Hidden Champions des Marktes – nach kleineren Beratungsunternehmen, die in ihrem Spezialgebiet auf Augenhöhe mit den Champions – McKinsey, BCG und Bain – konkurrieren.
Dabei stellen wir vor allem eines fest: Es gibt nicht viele solcher Hidden Champions. Nicht einmal zwei Dutzend Firmen können sich nach unseren strengen Kriterien als ebenbürtig qualifizieren. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren immer wieder gute kleinere Beratungen von größeren Akteuren übernommen wurden. Etwa PRTM von PwC, BrainNet von KPMG, J&M von EY und zuletzt Inverto von BCG. Zum Glück rücken aber immer wieder neue Kandidaten nach. Die inhaltliche Ausrichtung der Hidden Champions hat sich im Laufe der Jahre allerdings verändert. Während früher vor allem Firmen erfolgreich waren, die sich thematisch spezialisiert haben, etwa auf Fragen des Pricings, der Beschaffung oder der Supply Chain, sind es heute vor allem Firmen mit einem klaren Branchenfokus. Etwa Berylls in der Automobilindustrie, Solon bei Medien- und Telekommunikationsunternehmen oder zeb bei Finanzdienstleistern.
„Momentan mangelt es der Beratungsbranche nicht an Geschäft: Es gibt viele Themen, die der Branche in die Hände spielen“
Welche Beratungsfelder werden in den kommenden Jahren für Umsatz sorgen und wo sehen Sie Gefahren für die Geschäftsentwicklung der Consultants?
Momentan mangelt es der Beratungsbranche nicht an Geschäft. Es gibt viele aktuelle Themen, die der Branche in die Hände spielen. Etwa der Brexit oder die Gefahr einer neuen Banken- und Finanzkrise. Ganz oben auf der Agenda der Beratungskunden stehen aber weiterhin die großen Themen Disruption und Digitalisierung. Hier ändern sich allerdings die inhaltlichen Beratungsschwerpunkte.
In den letzten zwei Jahren haben die Berater die digitalen Leitplanken für die Zukunft definiert. Jetzt dreht sich das Thema immer stärker in den operativen Bereich. Unternehmen fragen: Wie müssen wir unsere Prozesse gestalten, um die neuen digitalen Geschäftsmodelle im Tagesgeschäft zum Laufen zu bringen? Und wie können uns digitale Technologien dabei helfen? Das sind Fragen, bei denen die Berater ihre traditionellen Stärken ausspielen können. Insbesondere die großen Transformationsberater, vor allem die Beratungssparten der vier großen Wirtschaftsprüfer PwC, KPMG, EY und Deloitte, dürften überproportional davon profitieren. Insofern rechnen wir damit, dass der Markt weiter gut läuft. Die größte Herausforderung für die Berater dürfte die Disruption des eigenen Geschäfts sein. Denn die Digitalisierung macht auch vor den Geschäftsmodellen der Berater keinen Halt.
Professor Dr. Dietmar Fink
Professor Dr. Dietmar Fink studierte Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt am Main, Finanzwirtschaft in London, promovierte an der Universität Kassel und arbeitete zehn Jahre für eine führende amerikanische Managementberatung. Er ist Autor zahlreicher Bücher – darunter zum Beispiel das Grundlagenwerk „Strategische Unternehmensberatung“ und mehrere Financial-Times-Bestseller – sowie einer Vielzahl von Artikeln und Kommentaren in renommierten Publikationen der Tages-, Fach- und Wirtschaftspresse.