Jeder Absolvent, der zum Bewerbungsgespräch bei einer Beratung eingeladen wird, fürchtet sie: die Consulting-Cases. Hier zeigt sich, wie viel Beratungsgeschick, Analysefähigkeit und Kommunikationstalent der Bewerber wirklich mitbringt. Interview-Coach Robert Steiner erklärt, wie man sich gezielt auf die fiktiven Fälle vorbereiten kann und damit jede Hürde meistert.
Die Beratung lockt mit überdurchschnittlichen Einstiegsgehältern, Business-Class- Flügen, Fünf-Sterne-Hotels, internationalen Projekten und glänzenden Karriereaussichten. Doch nur die allerbesten Bewerber schaffen es dorthin – gleichzeitig gilt: Gut vorbereitet ist bereits halb gewonnen!
Gerade in der Beratungsbranche ist der Ablauf der Interviews meist ähnlich. Einem netten Gesprächseinstieg schließen sich ein paar Fragen zum Lebenslauf an, gefolgt von einer Fallstudie. Häufig bleibt noch ein wenig Zeit für individuelle Fragen des Bewerbers oder einen Zusatztest. Der vermutlich schwierigste Teil für Bewerber ist dabei aber immer der Kern der Interviews: die berühmte Fallstudie.
Warum setzen Berater die Fallstudie als Auswahlkriterium überhaupt ein? Die Antwort ist einfach: Die Fallstudie stellt ein simplifiziertes Beratungsprojekt im Schnelldurchlauf dar. Wenn Sie im Interview mit Struktur, präzisen Fragen und logischen Schlüssen brillieren und Ihnen das ganze Prozedere dabei auch noch Spaß macht, liegt der Schluss nahe, dass Sie auch den Berufsalltag erfolgreich meistern können. Fallstudien gibt es in allen möglichen denkbaren und undenkbaren Variationen. Manchmal ist die Fragestellung nur ein paar Wörter lang wie zum Beispiel: „Eine Bank in Südafrika schreibt Verluste – wieso?“. Manchmal ist die Frage aber auch fast ein kleiner Roman mit vielen Daten und Fakten. Wie kann man sich also zielgerichtet darauf vorbereiten, wenn es doch so viele Variationen gibt? Gerne würde ich Ihnen eine kugelsichere Lösung anbieten, aber die Realität der Fallstudien ist zu komplex, als dass eine simple Lösungsstruktur ausreichen würde. Doch die gute Nachricht: Das Lösen von Fallstudien ist auch Übungssache! Typischerweise lassen sich Fallstudien in folgende drei Abschnitte gliedern: Strukturierung, Analyse, Synthese.
Strukturierung: In diesem ersten, entscheidenden und vielleicht schwierigsten Abschnitt des Cases geht es darum, einen fundierten und schlüssigen Plan zu entwickeln, wie Sie von der Aufgabenstellung zur Lösung derselben kommen. Geht es beispielsweise in einer Fallstudie um die Profitabilität eines Unternehmens, sollte Ihre Struktur auf jeden Fall auf Umsatz und Gewinn sowie gegebenenfalls auf unternehmensexterne Faktoren eingehen (wie Markt, Kunden und Wettbewerb), um etwaige Veränderungen zu analysieren.
Analyse: Der Problemlösungsprozess ist in der Beratung hypothesengetrieben, um die eigenen Gedanken zu strukturieren, von Anfang an fokussiert und selektiv zu arbeiten, und auf diese Weise den Lösungsprozess effizient voranzutreiben. Dieser Schritt fällt bei der Lösung von Fallstudien gerade am Anfang schwer, wird mit der Zeit aber durch die gesammelte Erfahrung umso einfacher, desto mehr Fallstudien Sie im Zuge der Vorbereitung bearbeitet haben. Hypothese ist hier allerdings nicht in wissenschaftlicher Hinsicht zu verstehen, sondern vielmehr als ein erster “educated guess”, in welchen Bereichen der Fallstudie das Problem und somit meistens auch die Lösung verborgen ist. Die ursprüngliche Hypothese unterstützt Sie dabei fokussiert vorzugehen und auf die richtige Fährte zu gelangen. Zu den Themen Ihres Plans stellen Sie vertiefende Fragen, bis Sie auf Basis der erhaltenen Informationen einschätzen können, ob die Hypothese dadurch bestätigt wird oder verworfen werden muss. Und mit ein wenig Übung entwickelt sich Ihre Suche nach Antworten von einem Frage-Antwort-Spiel mit dem Interviewer hin zu einem natürlichen Gespräch oder einer Diskussion.
An dieser Stelle zwei allgemeine Tipps für die Analyse:
Segmentierung. Brechen Sie die Zahlen in ihre einzelnen Bestandteile auf, um auf die interessanten Punkte zu stoßen. Durchschnittswerte sind fast immer irreführend oder besitzen keine Aussagekraft.
“The Trend Is Your Friend“. Versuchen Sie Trends aus den Zahlen im Zeitverlauf abzulesen, um ein Gefühl für die Entwicklungen und eventuellen auffälligen Abweichungen zu bekommen. Vergleichen Sie die Zahlen des Klienten mit jenen der Wettbewerber um herauszufinden, ob es ein spezifisches Problem des Klienten ist oder sich auf die gesamte Branche bezieht – entsprechend unterschiedlich wird Ihr Fokus und Ihre Vorgehensweise bei der Lösung der Fallstudie sein.
Synthese: Nachdem Sie alle relevanten Themenbereiche Ihres Planes (der sich mit fortwährender Erkenntnis aus dem Gespräch mit dem Interviewer durchaus ändern kann) näher analysiert und die entsprechenden Antworten auf die ursprüngliche Frage der Fallstudie gefunden haben, ist es an der Zeit, sie richtig abzuschließen. Das bedeutet nicht nur die Daten und Fakten zusammenzufassen. Während es durchaus sinnvoll ist, in Ihrer Antwort anfangs die Ausgangslage und anschließend im ersten Teil Ihrer Antwort die wichtigsten Daten und Fakten zusammenzufassen, sollten Sie diese jetzt vielmehr synthetisieren und daraus einen vermutlich nicht immer offensichtlichen Schluss ziehen (“beyond the obvious”). Aufbauend auf dieser Basis beenden Sie Ihre Antwort auf die Ausgangsfrage mit einer Empfehlung oder Lösung. Wenn notwendig, sollten Sie an dieser Stelle auch auf den Bedarf an weiterführenden Analysen oder auf offene Punkte hinweisen.
Soweit zum Ablauf einer Fallstudie. Welche drei Fehler sollte man dabei unbedingt vermeiden?
1. Passivität bei der Lösung der Fallstudie – Sie sollten die Initiative ergreifen und den Interviewer souverän durch die Fallstudie führen.
2. Überschneidungen und Unvollständigkeit in der Struktur – um die Fallstudie zu lösen, sollten Sie einen klaren Plan zur Lösung des Problems entwerfen, der einerseits alle Problembereiche berücksichtigt und diese andererseits möglichst überschneidungsfrei darstellt.
3. Standard Frameworks anstatt individueller Vorgehensweisen – Standard-Frameworks be-leuchten meist nur einen relativ kleinen Ausschnitt der Fallstudie, der dem weiteren Verlauf der Fallstudie jedoch nicht gerecht wird und Sie daher in eine falsche Richtung lenkt.
Nach diesem kurzen Überblick sind Sie nun an der Reihe. Drei Tipps möchte ich Ihnen aber abschließend für die Vorbereitung mitgeben:
1. Legen Sie besonderes Augenmerk auf die Strukturierung der Fallstudie – wenn die Struktur von Anfang an unpassend ist, bauen Sie ein Haus auf schiefem Fundament – das Interview-Ergebnis ist dann vorprogrammiert.
2. Reflektieren Sie Ihre eigene Leistung bei der Lösung von Fallstudien und fokussieren Sie sich in der Vorbereitung speziell auf jene Bereiche, in denen Sie noch Verbesserungspotenzial haben. Dutzende Fallstudien “herunterzubeten” bringt Sie dabei nicht weiter.
3. Nutzen Sie jede Möglichkeit, Fallstudien mit anderen Personen interaktiv möglichst wie in einem realen Interview durchzuspielen. Umso mehr Interviewerfahrung Ihr Gegenüber hat, desto besser. Denn eine Fallstudie interaktiv unter Zeitdruck durchzuspielen ist eine ganz andere Erfahrung, als in Ruhe eine Fallstudie durchzudenken oder durchzulesen. Schließlich müssen Sie auf Zwischenfragen eingehen, die Körpersprache des Gegenübers im Auge behalten und gleichzeitig inhaltlich fordernde Fragestellungen analysieren – und das ist mit Sicherheit keine einfache Aufgabe. Hier gilt: umso mehr, desto besser!
Robert Steiner (29) hat Betriebswirtschaft und Internationale Betriebswirtschaft studiert. Während seiner über fünfjährigen Zeit als Berater von Groß- und mittelständischen Unternehmen hat er die Rekrutierungsprozesse der Top-Management-Beratungen durchlaufen sowie selbst neue Mitarbeiter rekrutiert. Neben seiner Beratertätigkeit ist er Autor des Ratgebers „Consulting Case Interviews“ (2011 im Shaker Media Verlag erschienen) und Bewerbungscoach.
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