Die Physikerin Melanie Krawina schätzt in der Unternehmensberatung McKinsey „Teamwork und Interesse an jeder einzelnen Person”
Als Melanie Krawina bei McKinsey als Consultant begann, hatte sie bereits zwei Jahre Forschung hinter sich – und das am weltbekannten CERN in der Schweiz. Warum die 28-jährige Österreicherin diesem Taj Mahal für Physikerinnen und Physiker den Rücken kehrte, um Beraterin zu werden und bisher nur positiv überrascht wurde, berichtet sie bei junior //consultant im Interview.
Frau Krawina, vor 15 Jahren wäre es vermutlich schwer gewesen, eine Physikerin in der Unternehmensberatung zu finden. Heute sind Sie keine Exotin mehr, oder?
Ganz und gar nicht. Ich bin jetzt seit mehr als zwei Jahren bei McKinsey Digital, einer Abteilung mit starkem Digital- und Technologie-Fokus. In meinen Teams arbeiten sogar mehrheitlich Naturwissenschaftler, Ingenieure und andere Nicht-BWLer. Oft sind eher die klassischen Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler die „Exoten“.
Wie sieht es dabei mit dem Frauenanteil aus? Sie waren auch in der Industrie und der Wissenschaft tätig und können vergleichen.
Das ist ein Herzensthema von mir. Frauen sind im Physikstudium, wie in anderen MINT-Fächern, immer noch unterrepräsentiert. Das spiegelt sich auch im Arbeitsalltag in Wissenschaft und Industrie. Beim Berufseinstieg in den technologieorientierten Branchen ist noch etwa ein Fünftel Frauen dabei. Leider gehen auf dem Weg zu den Topmanagement-Positionen viele verloren. So habe auch ich nur wenige Vorbilder in Führungspositionen gehabt, wie zum Beispiel Professorinnen oder Managerinnen.
Bei McKinsey gibt es ein sehr großes Verständnis dafür, wie wichtig Diversity ist – von den „New Hires“ sind mittlerweile rund 50 Prozent Frauen
Melanie Krawina, Digital Consultant bei McKinsey
Ist das bei McKinsey anders?
Zunächst einmal gibt es hier ein sehr großes Verständnis dafür, wie wichtig Diversity ist, in allen Facetten. Von den „New Hires“ sind mittlerweile rund 50 Prozent Frauen. Aber innerhalb der Themengebiete gibt es noch Unterschiede.
Auf Feldern wie Advanced Industries – womit ich mich viel beschäftige – arbeiten weniger Beraterinnen als etwa im Public Sector. Das Gute ist, dass wir das intensiv diskutieren und an Verbesserungen arbeiten. Es gibt auch zahlreiche Initiativen, um noch mehr Frauen in die Top-Positionen bei McKinsey zu bringen.
Bevor Sie bei McKinsey eingestiegen sind, haben Sie als Wissenschaftlerin am CERN gearbeitet, dem weltberühmten Forschungszentrum in der Schweiz. Warum der Wechsel in die Beratung?
Am CERN hatte ich eine tolle Zeit. Ich habe mich mit der Frage beschäftigt, wie sich radioaktive Strahlung auf elektronische Komponenten auswirkt, was vor allem für die Weltraumforschung, Flugzeugtechnik, aber auch Teilchenbeschleuniger relevant ist. Das war hochspannend und nie langweilig. Aber mit der Wissenschaft ist es so: Sehr bald gibt es nur noch fünf bis zehn Menschen auf der Welt, mit denen man sich wirklich über die eigene Forschung unterhalten kann. Man bohrt immer tiefer und tiefer – aber kommt wenig über den Tellerrand hinaus. Das macht auch ein bisschen einsam. Daher habe mich nach Alternativen umgeschaut.
Das Event „Next Generation Women Leaders“ war die Eingangstür für Melanie Krawina bei McKinsey
Wie kam der Kontakt zu McKinsey zustande?
Zufällig hatte ich zwei Physiker-Freunde, die bei McKinsey gearbeitet haben. Die haben mir davon erzählt, mit wie vielen unterschiedlichen Themen sie sich beschäftigen – mit der Halbleiterindustrie, der Automobilbranche und so weiter. So lernte ich, dass McKinsey nicht nur ein Ort für Wirtschafts- und Finanzexpertinnen und -experten ist. Das wollte ich mir genauer anschauen und bewarb mich für das Event „Next Generation Women Leaders“. Daraufhin schrieb mir eine Recruiterin zurück und fragte: Hättest du nicht Interesse, dich direkt auf den Festeinstieg bei McKinsey zu bewerben? So ging alles ganz schnell.
War der Einstieg so, wie Sie es erwartet hatten?
Ich war überrascht, aber positiv. Bei McKinsey hatte ich eher ein raues Umfeld erwartet: super-smarte Menschen, die konzentriert, aber einzeln vor sich hinarbeiten. So ähnlich kannte ich es aus der Wissenschaft. Aber es war ganz anders. Wie herzlich mich das Team empfangen hat! Alle waren ernsthaft interessiert an mir als Person, wer ich bin, was ich mag, wie ich arbeite. Gleichzeitig war das Team sehr unterstützend. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit: Teamwork und Interesse an jeder einzelnen Person.
Gemeinsam mit etwa 15 Kolleginnen und Kollegen helfen wir aktuell einem großen Klienten aus der Bauindustrie dabei, sich in der Digital- und Software-Welt zu positionieren
Melanie Krawina, Digital Consultant bei McKinsey
Womit beschäftigen Sie sich im Moment?
Mit der Bauindustrie. Gemeinsam mit etwa 15 Kolleginnen und Kollegen helfen wir einem großen Klienten dabei, sich in der Digital- und Software-Welt zu positionieren. Dafür entwickeln wir eine neue Software-Einheit, inklusive Software-Produkte. Es herrscht eine richtige Start-up-Stimmung, weil wir von Grund auf alle Aspekte abdecken müssen: Welche neuen Leute braucht der Klient? Wie schaut die Organisation aus? Wie interagiert das bisherige mit dem neuen Business, und wie soll das Produkt aussehen? Im Team sind auch Software-Entwickler und Designer. Ich lerne jeden Tag dazu.
Was haben Sie bei McKinsey bisher gelernt?
Mir fehlten als Naturwissenschaftlerin beim Einstieg vor allem zwei Dinge: das wirtschaftswissenschaftliche Wissen und wie man seine Ergebnisse gut kommuniziert. Der erste Punkt war schnell aufgeholt. Es gibt bei McKinsey viele Trainings, die Consultants mit MINT-Hintergrund gezielt unterstützen. Das ist wie ein BWL-Studium im Schnelldurchlauf.
Und der zweite Punkt? Mit der Kommunikation war es etwas komplizierter. Als Wissenschaftlerin war ich stark darauf geprägt, alles bis ins letzte Detail zu verstehen und mit hundert Seiten Fakten und Tabellen zu belegen. Das funktioniert aber nicht, wenn man das Senior Management berät. Da müssen wir alles zusammenführen auf die Frage: Warum ist das wichtig? Was sind die wichtigsten Facetten? Das musste ich lernen.
Ich bin auf dem Sprung zur Teamleitung, daher beschäftige ich mich aktuell viel mit Teamkultur
Melanie Krawina, Digital Consultant bei McKinsey
Gibt es weitere Felder, auf denen Sie aktuell Ihr Wissen erweitern?
Ich bin auf dem Sprung zur Teamleitung, daher beschäftige ich mich aktuell viel mit Teamkultur. Das hat McKinsey perfektioniert: Wie kann ich jedes Teammitglied mitnehmen, einzelne Stärken nutzen und individuell gezielt unterstützen? Das sind spannende Fragen für mich. Darüber hinaus lerne ich bei Spezialthemen ständig dazu, wie etwa dem Produktdesign und Feldern wie Customer Journey oder User Experience. Zu meinem Glück gibt es dazu sehr erfahrene Expertinnen und Experten in der Firma. Ich profitiere sehr davon, die Kolleginnen und Kollegen beobachten zu können, wie sie ihre Arbeit machen und mit den Klienten interagieren.
McKinsey ist sehr darauf fokussiert, das Beste aus jeder und jedem herauszuholen und zu fördern – selbst, wer es nicht darauf anlegt, entwickelt sich unglaublich schnell weiter
Melanie Krawina, Digital Consultant bei McKinsey
Was schätzen Sie insgesamt an der Beratung als Arbeitsumfeld – auch im Vergleich zu Forschung und Industrie?
Ein großer Vorteil der Beratung gegenüber der Wissenschaft ist die breite Aufstellung: Vor allem in den ersten Jahren bei McKinsey kann man sich viele Industrien und Klienten anschauen und sich hineinentwickeln. Im Vergleich zur klassischen Industrie fällt mir das Investment in die einzelne Person auf.
Was ich damit meine? McKinsey ist sehr darauf fokussiert, das Beste aus jeder und jedem herauszuholen und zu fördern. Immer ist man von Menschen umgeben, die sich interessieren, nachfragen, unterstützen. Selbst wer es nicht darauf anlegt, entwickelt sich unglaublich schnell weiter. Das gibt es in der Industrie sicher auch, aber nicht so stark – und nicht ab Tag eins wie bei McKinsey.
Wissen Sie eigentlich, was Ihre ehemaligen StudienkollegInnen heute machen? Gibt es weitere Beraterinnen?
Ja, überraschend viele! Beratung ist vor allem Problemlösung, darauf sind Physikerinnen und Physiker mit ihren analytischen Fähigkeiten sehr gut vorbereitet. Einige alte Freunde sind auch in der Wissenschaft geblieben, haben promoviert mit anschließendem Post-doc. Auch in der Privatwirtschaft kenne ich einige.
Interessant ist, warum immer mehr junge Menschen mit MINT-Hintergrund in die Beratung gehen. Die meisten empfinden ähnlich wie ich: Sie wollen zusätzliche Fähigkeiten erwerben, vielfältige Erfahrungen machen und wachsen. Die Jahre nach der Uni sind einfach die Zeit, um viel zu lernen und zu sehen. Da ist der Pfad der Beratung sehr reizvoll.
Melanie Krawina, McKinsey
Melanie Krawina, Jahrgang 1993, ist Digital Consultant bei McKinsey in Wien. Die gebürtige Kärntnerin war nach ihrem Master in Technischer Physik an der Technischen Universität Wien zunächst bei einem Halbleiterhersteller sowie in der Softwareentwicklung beschäftigt. 2017 begann sie ihre wissenschaftliche Arbeit als Radiation to Electronics Physicist bei der Europäischen Organisation für Kernforschung CERN.
Nach zwei Jahren wechselte sie als Beraterin zu McKinsey, wo sie im Bereich McKinsey Digital unter anderem digitale und Software-Transformationen von Unternehmen begleitet. Die Faszination für Technik lässt Melanie auch in ihrer Freizeit nie ganz los: Wenn sie sich nicht gerade mit Freunden trifft, bastelt sie mit Leidenschaft an ihrer Saturn V Lego Rakete.