Ein Gastbeitrag von Michael Rossié
Wenn jemand Hochschulabsolventen erzählen würde, sie müssten erst reden lernen, bevor sie in einer Beratung anfangen, würden die meisten wahrscheinlich verständnislos mit dem Kopf schütteln. Schließlich sind die Medien heute ein selbstverständlicher Bestandteil unserer täglichen Kommunikation, und reden in der Öffentlichkeit können wir.
Viele haben schon vor ihrem Uni-Abschluss eine erfolgreiche Karriere als Podcaster, YouTuber oder Influencer hinter sich. Arbeitszimmer sind Sendestudios, Studierende sind vernetzt mit der ganzen Welt und auch Powerpointpräsentationen macht man heute schon in der Grundschule. Was soll da zu lernen sein?
Wir alle können reden
Außerdem ist jemandem, der sich bei einer Beratung bewirbt, völlig klar, dass ein großer Teil seiner Arbeit im Präsentieren, Diskutieren und Beeinflussen von Menschen besteht. Wenn also eine Begrüßung von fünf Teammitgliedern Schweißausbrüche verursacht, dann wird der Betroffene wahrscheinlich einen anderen Beruf suchen.
Bei einer Rede ist ja auch eigentlich nichts zu können. Der Referent geht nach vorne oder steht auf, weil er etwas zu sagen hat. Wenn das Publikum genau das hören will oder braucht, was er herausgefunden hat, steht einer guten Rede nichts mehr im Wege. Solide Vorbereitung, knackige Folien und jemand, der Lust darauf hat, sein Wissen zu teilen – perfekt!
Vorschriften sind eher hinderlich. Niemand macht sich lächerlich, wenn er bei der ersten Präsentation beim Kunden ein bisschen nervös ist. Aber wenn die Zuhörer dem Vortragenden anmerken, dass er sich gerade Mühe gibt, eine offene Haltung einzunehmen oder die Regeln aus dem letzten Rhetorikkurs zu beachten und zum Beispiel versucht, „schön“ zu sprechen, dann werden das leicht Momente des Fremdschämens. Aus meiner Sicht kann man da vorne nichts wirklich falsch machen.
Im Berufsverband deutschsprachiger Rednerinnen und Redner (German Speakers Association) haben wir eine eigene Ausbildung zum Profi. An zwölf Wochenenden im Jahr wird alles vermittelt, was jemand braucht, damit Zuhörer gefesselt sind und die Inhalte im Kopf bleiben. Aber das hat wenig zu tun mit dem, was die alten Griechen unter Rhetorik verstanden haben. Auch wenn einige Regeln immer noch gültig sind.
Meist herrscht gähnende Langeweile
Warum langweilen wir uns dann so oft? Warum besteht die Karikatur eines Consultants in der Regel aus einem Worthülsen produzierenden Menschen („Kernkompetenz“, „Benchmark“ und „am Ende des Tages evaluieren“ … ) mit PowerPoint-Folien, die wegen des Gewichtes der vielen Zahlen von der Leinwand fallen.
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zunächst mal ist für viele von uns die Schule oder Uni das Vorbild für eine Rede oder einen Vortrag. Wir kennen wenig anderes. Aber wenn Beratende ihre Kunden zu Schülern und Schülerinnen machen, erzeugen sie sehr schnell Gegenwehr. Besonders Führungskräfte wollen mit Ideen inspiriert und nicht vom allwissenden Consultant unterrichtet werden, was sie zu tun haben. In der Uni gab es z.B. zu Beginn der Vorlesung eine Agenda. Eine Agenda beim Kunden kann sehr ermüdend sein. Wenn es dann noch eine Zusammenfassung gibt, hört der Kunde in zwanzig Minuten alles drei Mal. In der Schule gab sich der Lehrende Mühe, ein Thema komplett abzuhandeln. Ein Beratender muss sich auf wenige Punkte beschränken. Lehrer und Professorinnen erzählen ihre Inhalte nicht das erste Mal, der Kunde einer Beratung muss aber das Gefühl haben, die Präsentation handle nur von ihm.
Der zweite Grund ist, dass gerade Junior Consultants das machen, was die anderen vorleben. Sie versuchen, sich einzufühlen in den Stil und die Art der Beratung und nehmen sich eben nicht die großen Redner auf ted.com oder Greator zum Vorbild, sondern den Senior Partner, mit dem sie für denselben Kunden arbeiten. Bei einem jungen Menschen sieht man sofort, dass er jung ist und möglicherweise wenig Erfahrung hat. Das, was er sagt, wird also besonders genau beobachtet. Da mache ich doch lieber das, was meine Vorgesetzte oder mein Vorgesetzter macht. So lassen sich auch eventuelle Wissenslücken leichter kaschieren.
Und ein Consultant muss viele Fähigkeiten haben, reden ist nur eine davon. Wenn ich in einer Beratung arbeite, in der es keine charismatischen Vortragenden gibt, sondern nur Vollprofis, was die Inhalte angeht, wo soll meine rhetorische Bildung herkommen? Langjährige Beraterinnen oder Berater haben sich oft nicht weiterentwickelt. Exponentielles Wachstum gibt es ja nicht nur in Bezug auf die Digitalisierung, sondern auch in der Rhetorik und Kommunikation. Nur zehn Jahre zurück, und man hat vieles völlig anders gemacht.
Wir, als professionelle Redner in der GSA, sind ständig gezwungen, uns mit neuen Ideen, Techniken und wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Schließlich werden wir für unsere Vorträge bezahlt und sollen nicht nur inhaltlich perfekt sein, sondern müssen auch Fachleute in Bezug auf die Performance sein. Das ist viel mehr, als sich gerade hinzustellen.
Wussten Sie, dass sich viele theoretische Grundlagen unserer Kommunikation als falsch herausgestellt haben? Wir nutzen nicht nur 10 Prozent unseres Gehirns. Die Sympathie beim ersten Eindruck entsteht nicht zu 55 Prozent durch die Körpersprache. Eine machtvolle Pose führt nicht zu besserem Selbstwert und ein Bleistift zwischen den Zähnen keineswegs zu besserer Laune. So könnte ich endlos weitermachen.
Wussten Sie, dass die Art, wie Sie etwas sagen, mindestens ebenso wichtig ist, wie das, was Sie sagen? Haben Sie auf jeder Folie ein Logo, Ihren Namen, die Nummer der Folie, einen Rahmen? Wimmelt es nur so von Glühbirnen, Puzzlesteinen oder Zielscheiben mit Pfeilen in der Mitte… oder halten Sie eine moderne Präsentation? Haben Sie schon mal den Begriff Reaktanz gehört? Die deutsche Übersetzung ist Blindwiderstand. Der entsteht zum Beispiel immer denn, wenn es zu harmonisch zugeht. Einer ist jetzt plötzlich dagegen, und zwar ohne ersichtlichen Grund. Wissen Sie, wie Sie da vorbeugen können? Ist Ihnen klar, dass ich weniger erreiche, je überzeugter ich auftrete?
Brillante Vortragende nehmen ihr Publikum mit auf eine Reise, die es die Zeit vergessen lässt. Sie packen ihre Zuhörer und lassen sie nicht mehr los. Eine gute Rednerin oder ein guter Redner sind das Aushängeschild Ihrer Beratung. Wir haben keine Sympathie für Unternehmen, sondern immer nur für Menschen. Ein charismatischer Mensch hat es viel leichter, seine Ziele umzusetzen. Das hat ein bisschen mit Übung und Begabung zu tun, aber vor allem viel mit der Arbeit am Vortrag.
Gute Rednerinnen oder Redner …
- … fangen nicht mit Floskeln an („Wie schön es ist, dass sich alle Zeit genommen haben …“). Sie bedanken sich nicht für die nette Ankündigung von den wunderbaren Kollegen.
- … würden sich nicht gerne vorstellen, sondern sie stellen sich vor – aber erst mal nicht die Firma. Die Geschichte der Beratung interessiert erst, wenn sich die Ideen als cool herausstellen.
- … beginnen nie vorne, sondern mit etwas Spannendem. Sie wollen Aufmerksamkeit und zwar am besten von Anfang an.
- … reden mit tanzenden Sätzen. Jeder Satz klingt anders und die Sätze werden nicht wie Eisenbahnwaggons auf die Schienen geschoben.
- … spielen kein Theater und üben weder Bewegungen noch Haltungen, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.
- … starten mit dem Problem der Kundenseite und warten, bis da genickt wird, bevor sie eine spannende Lösung präsentieren.
- … haben übersichtliche Folien mit wenigen Gestaltungsmerkmalen, die man nicht nur im übertragenen Sinne als schön bezeichnen kann.
- … lesen ihre Folien nicht vor, sondern teilen sich die Arbeit mit der Folie. Die Folie liefert ZDF (Zahlen, Daten, Fakten), der Mensch liefert ARD (Ahnen, Raten, Deuten).
- … wissen, was Storytelling ist und wie sie es einsetzen können. Die Notwendigkeit einer Umstrukturierung eines Unternehmens wird über die Geschichten erzählt, die der Beratende dort erlebt hat.
Mit Reden Geld verdienen?
Wenn Jugendliche mit dem Berufswunsch SportlerIn kämen und sich erst danach für die Sportart entscheiden würde, fänden wir das komisch. Mit den Speakern ist es ähnlich. In der GSA verdienen alle mit dem Reden Geld, aber sonst haben der Uni-Professor, die Fitnesstrainerin und der Motivationsredner nicht viel gemeinsam. Erst braucht jemand, der Vorträge halten will, ein Thema, bei dem er oder sie sich auskennt wie kein anderer. Dann kann man darüber nachdenken, dieses Thema auch über den Kanal „öffentliche Rede“ zu vermarkten. Das heißt nicht, dass nicht auch junge Menschen sehr erfolgreich werden können (die GSA hat sogar eine sehr günstige Studentenmitgliedschaft). Aber eine Tour mit dem Fahrrad über die Alpen reicht nicht, um damit eine Karriere vor Publikum zu starten. Wer dagegen drei Unternehmen vor dem Konkurs gerettet hat oder die zehn Gründe kennt, warum Start-ups scheitern, und das alles aus eigener Erfahrung, der wird sicher jemanden finden, der ihn dafür bezahlt, wenn er sein Wissen weitergibt.
Michael Rossié
Michael Rossié, der bekannte Keynote-Speaker, Buchautor und Coach, gibt seit vielen Jahren als Sprecher- und Kommunikationstrainer sein Wissen weiter. Er ist seit mehr als 10 Jahren der Vizepräsident des deutschen Rednerverbandes, der German Speakers Association e.V., und hier auch als Dozent der Rednerakademie tätig. Dazu hat er eigene Methoden entwickelt, die inzwischen tausenden von Menschen geholfen haben, bessere Vorträge zu halten und leichter zu kommunizieren. Ob jemand im Top-Management auf den Punkt begeisternde Reden halten, als Mitarbeiter packend präsentieren oder einfach als Mensch mit Redeangst aus dem Stehgreif frei und leicht vor Publikum sprechen können will – Michael Rossié führt jeden mit Leichtigkeit auf dem Weg zur selbstbewussten Kommunikation und Freude an Rede und Performance.
www.michael-rossie.com/
https://germanspeakers.org/gsa-akademie/
Michael Rossié // Rhetorik ist keine Kunst, sondern kein Problem
Einfach eine gute Rede halten. Das große Rhetorik-Buch // 2021 // ISBN: 978-3-8006-6321-7 // Verlag: Franz Vahlen // € 29,80
Dieses Buch will ein Dialog mit dem Leser sein. Es will die Denkweise von denen verändern, die nach vorne müssen oder wollen. Ein Bühnenprofi zeigt Ihnen nach 30 Jahren Erfahrung die einfachsten Wege, ein Publikum für sich einzunehmen, fast ganz ohne klassische Rhetorik, ohne Körpersprachetraining und ohne ständiges Üben. Dazu lernen Sie zunächst, anders über so eine Präsentation vor der Gruppe zu denken. Dieses Buch will helfen, die Fächer in Ihrem Kopf neu zu füllen. Dieses Buch will Ihre Gedanken verändern.
Werden wir toleranter, werden wir lockerer. Der Inhalt zählt und eine Performance, die uns mitreißt, wie auch immer der Redner das hinbekommt. Zu viel Form schadet. Sie wollen ein Rednerpult? Sie wollen ablesen? Sie wollen einfach drauflos erzählen? Von mir aus. Ist es nicht toll, wie viele Menschen Reden halten wollen? Das ist gelebte Gemeinschaft! Hoch lebe die Vereinskultur, die Meetings, die Videokonferenzen, die Geburtstagsfeiern und die Tagungen! Holen wir den Redner aus dem Elfenbeinturm! Verschaffen wir all den Menschen, die da gekommen sind, einen schönen Abend! Sorgen wir für Stimmung! Und fesseln wir die Zuschauer.