Frauen im Consulting: Eine kritische Bestandsaufnahme von Susanne Mathony
„Klopfen wir uns nicht ständig auf die Schulter, was wir für die Frauen tun? […] Vielleicht sollten wir Männer uns erst lieber ehrlich machen“, fragt Martin Eisenhut (Kearney) in seinem Byliner „Worin Männer versagen“ in der Süddeutschen Zeitung. Er appellierte schon 2019: „Hören wir (männlichen) Führungsköpfe auf so zu tun, als ob die besten Frauen schon von allein die gläserne Decke durchbrechen werden, auf der unsere Vorstandsstühle stehen“. Leider wurde dies nicht zum Tipping Point für die Karriere von Beraterinnen.
Von Susanne Mathony, Geschäftsführerin von Mathony Brand Strategists
Seit meiner CMO-Zeit bei Booz – heute Strategy& – hat sich nur partiell etwas bewegt. Weiter gibt es zu wenig Frauen auf der Top-Führungsebene. In DACH bleiben weibliche Country Manager wie Christine Rupp (IBM Consulting) oder Christina Bösenberg (BCG Brighthouse) die Ausnahme.
Hier drei Aspekte des Branchendilemmas:
1. Patriarchale Denkmuster
„Warum gehen wir eher mit männlichen Teammitgliedern abends essen als mit weiblichen?“ Diese Frage von Martin Eisenhut ließ mich laut lachen. Zwischen 2001 und 2017 habe ich rund 1.800 Nächte in Hotels irgendwo in Europa verbracht. Zum Dinner nahmen mich die Senior Partner/Partner vor Ort jedoch lieber nicht mit: Es hätte „komisch“ aussehen können.
Dieses antiquierte Denkmuster besteht weiter, berichten mir Klientinnen. Und das trotz Millionen-Investments in Diversity-Initiativen. Faktisch gilt noch vielfach: „Consulting is a man’s world“. Karrierehinderliche Geschlechterstereotypen – ob bewusst oder als unconscious bias – setzen sich fort. Das zeigt sich auch in der unterschiedlichen Bewertung von männlichen und weiblichen Teammitgliedern. Berater sind in Appraisals meist „sehr vertriebsstark“. Beraterinnen eher „too salesy“.
2.Die Gläserne Decke
„Die gläserne Decke befindet sich in Deutschland auf dem Niveau eines 70er-Jahre-Bungalows“, stichelt Barbara Lutz, die Erfinderin des Frauen-Karriere-Index. So sehr sich Professional Services-Player durch Inklusionsprojekte bemühen: Diese Barriere des unsichtbaren, aber Betonharten glass ceilings ist noch immer nicht weggesprengt. Sie aber begrenzt den beruflichen Aufstieg und lasst die Chancen von Frauen auf Schlüsselprojekte sinken. Die resultierenden Karriereeinbußen sind unübersehbar.
3. Belastender Vereinbarkeitsdruck
Mein LinkedIn-Feed zeigt: 90 Prozent der Beraterinnen, die ich in den letzten zwei Jahrzehnten kennengelernt habe, arbeiten mittlerweile auf Unternehmensseite. Und eben nicht als Senior Partner oder internationaler Practice-Lead. Zum einen ist dies eine Folge des Beschriebenen.
Zum anderen ist der Vereinbarkeitsdruck weiter gestiegen. Im Pandemiesommer 2020 war ich noch bullish. Zwar warnte seinerzeit Julia Jäkel „Homeoffice bedeutet für tausende Frauen gerade vor allem home und wenig office. Das ist auch deshalb bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden.“
Dennoch sah ich Chancen in meiner #BeraterBeraterin-Kolumne „Es ist Zeit für den Female Shift im Consulting“.
Aber noch immer übernehmen Frauen im Durchschnitt mehr Hausarbeit und Familienpflichten. Dieser Vereinbarkeitsdruck führt dazu, dass viele Beraterinnen auf Teilzeit- oder interne Positionen gehen. Meist ist dieser Kompromiss der Anfang vom Ende für die Karriere im Consulting und/oder der Grund für den Wechsel auf Unternehmensseite.
Fünf Tipps, was Frauen im Consulting selbst tun können
1. Impostor-Syndrom abschütteln
Mit vierzig Jahren hat das Selbstvertrauen der Frau das Niveau des Mannes erreicht. Diese Aussage von Julia Boorstin in ihrem Buch „When Women Lead“ lässt mich zusammenzucken. Ebenso wie eine KPMG-Studie. Danach leiden 75 Prozent der weiblichen Führungskräfte unter dem Impostor-Syndrom. 81 Prozent befürchten: „Ich setze mich viel stärker unter Druck, um keine Fehler zu machen, als Männer es tun.“
Diese negativen Glaubenssätze führen zu Mehrarbeit, nicht aber dem Karrieresprung. Frauen, die im Consulting nach oben wollen, müssen daher zwingend das Impostor-Gen aus ihrer DNA loswerden. Folgerichtig vermitteln wir unseren Klientinnen in unseren Alphaschach-Workshops: Vergiss die Sorge „Meine Karriereambitionen könnten Nachteile mit sich bringen“. Denke lieber selbstbewusst „Ich priorisiere mein professionelles und persönliches Wachstum. Das bin ich mir wert.“
2. Sichtbarkeit strategisch ausbauen
Sichtbarkeit ist ein mächtiger Karrierebooster. Denn Sichtbarkeit ist die Basis für Relevanz. Und Relevanz ist – neben hoher Billability und starken Netzwerken – das, was bei Beförderungen den Unterschied macht. Um eine pro-aktive Positionierung kommen Frauen im Consulting daher nicht herum. Beraterinnen dürfen sich nicht scheuen, ihre Leistungen und Erfolge strategisch zu kommunizieren. Nicht als Egoshow, sondern bei Mentoren, in Team-Meetings oder auf internen wie externen Kommunikationsplattformen. Ziel ist es, sich als kompetente Expertin zu präsentieren und auf die eigenen Fähigkeiten aufmerksam zu machen. Dazu gehört auch ein professioneller LinkedIn-Auftritt, wie in „How to be visible: Sichtbarkeit für Beraterinnen durch strategisches Personal Branding“ beschrieben.
3. Authentizität: Die Macht der individuellen Präsenz
Trotz aller Herausforderungen ist eines wichtig – die eigene Authentizität – gerade, wer als Beraterin eine lange Karriere im Consulting anstrebt.
So verlockend PR-Eintagsfliegen oder virale LinkedIn-Posts sein mögen: Langfristig erfolgreich ist nur die, die sich wohl in ihrer Haut fühlt. Daher sollten Beraterinnen ihren individuellen Stil finden und diesen selbstbewusst pflegen. Nur, wer sich als ganze Person authentisch präsentiert, behält den Spaß an der Positionierung und bleibt auch dran.
4. Networking mit „Male Allies“
Wo #strongertogether mehr als ein netter Hashtag ist, gelingt gender parity im Consulting. Klar machen weibliche Netzwerke Sinn. Aber um „male allies“ kommen Frauen nicht herum. Sowohl als offizielle Mentoren als auch als informelles Netzwerk.
Gemeint sind nicht heldenhafte „manscripts“; sprich die Verwechslung mit dem Archetyp des rettenden Kriegers in der Not. „Men, stop calling yourselves allies. Act like one.” gibt hier gute Tipps.
Was Berater konkret tun können?
• Kolleginnen den Rücken stärken, wenn diese über erlebte Vorurteile berichten.
• Aktiver Mentor sein.
• Initiativen im Bereich Vielfalt und Inklusion ehrlich unterstützen – und nicht als To do an HR delegieren.
5. Auf den „Beauty Bias” pfeifen
„Diskriminierung von Schönen, Schlauen und Reichen: Ja, das gibt’s“ schreibt die NZZ. Auch Frauen im Professional Services leiden unter dem Beauty Bias.
Im Bemühen, ernst genommen zu werden, passen sich viele präventiv an. Zwei von drei Beraterinnen sind überzeugt: Stereotypisch männliches Verhalten wirkt sich positiv auf die Karriere aus. 66 Prozent glauben, dass erfolgreiche Frauen weniger ihre weiblichen Charakteristika zeigen. 85 Prozent passen ihr Verhalten im Job an, um weniger weiblich zu erscheinen.
Kurzum: Gerade im eher klassisch-konservativen Umfeld fühlen sich gerade jüngere Beraterinnen noch zu häufig gezwungen, ihre Feminität zu minimieren. Ihr Glaubenssatz: Mein bewusster Verzicht auf femininen Stil und die Anpassung an den maskulinen Dresscode weist mich als professionell aus. So irritiere ich weder Klienten noch die interne Partnerschaft.
Authentizität bleibt da aber auf der Strecke. Folgerichtig fordern drei Kearney-Beraterinnen in „SEI DU SELBST – alle anderen gibt es schon!“: Mehr Weiblichkeit wagen! Denn ja, wer zur Experten-Marke werden will – und das ist heute integraler Karrierebestandteil – setzt auch optische Statements.
Fazit: „Egal, ob Feminist oder nicht, allein aus wirtschaftlichem Interesse bleibt uns keine Wahl“
Es bedarf eines kollektiven Wandels – sowohl strukturelle Veränderungen der Beratungsunternehmen und gesellschaftlicher Normen, als auch individuelle Handlungen. Auf Seiten der Männer wie der Frauen. Sonst bleiben Appelle wie die von McKinsey „Stop seeing the return as a destination. Start imagining the business as it should be in the next normal” gutes Marketing. Aber leider nicht mehr.
Susanne Mathony
Susanne Mathony ist Geschäftsführerin von Mathony Brand Strategists, eine internationale Marketing- und Kommunikationsberatung mit dem Schwerpunkt auf Professional Services. Unter den Klienten finden sich Unternehmensberatungen, Wirt- schaftsprüfungsgesellschaften, Anwaltskanzleien sowie Executive Search. Als internationale Kommunikationsexpertin blickt sie auf mehr als zwei Jahrzehnte Führungserfahrung im Professional Services zurück. Auf DACH und EMEA-Ebene arbeitete sie unter anderem für Andersen Consulting (heute Accenture), AlixPartners, Booz & Company (heute Strategy&) sowie Russell Reynolds Associates.