Die Mathematikerin Stiene Riemer, Partner bei BCG, im Interview
MINTler:innen sind in der Beratung mittlerweile keine Exoten mehr, denn in Zeiten von Big Data und Digitalisierung kommt kaum noch ein Beraterteam ohne einen Datenspezialisten aus. Stiene Riemer sorgt als promovierte Mathematikerin bei BCG GAMMA für die Übersetzung von Businessproblemen in die Datenwelt – und ihre Lösung. Im Interview erzählt sie von ihrem Weg in die Beratung, Projekten und Erfolgen.
Frau Riemer, Sie haben Mathematik studiert. Wann kam bei Ihnen zum ersten Mal der Gedanke auf: Beratung, das könnte etwas für mich sein?
Das war relativ spät. Als ich studierte, war das noch kein Thema. Nach dem Diplomstudium habe ich sofort mit der Promotion angefangen und mich auch erst einmal auf die Forschung konzentriert. Danach habe ich als Postdoc an der Uni gearbeitet und sowohl Forschung als auch Lehre gemacht. Irgendwann habe ich mir die Optionen außerhalb des reinen universitären Betriebs durch den Kopf gehen lassen. Ich hatte drei Prämissen: Abwechslung, kreatives Problemlösen und Kontakt mit Leuten – da bin ich natürlich schnell auf das Thema Beratung gekommen. Aber das war nicht die Intention, die ich hatte, als ich das Studium begonnen habe.
Sie haben wahrscheinlich Mathematik studiert, weil es Sie interessiert hat und Ihnen leicht fiel – also nicht auf einen Beruf hin?
Genau. Ich komme aus einer eher naturwissenschaftlich geprägten Familie und war bis Studienbeginn noch unsicher, ob es Medizin oder Mathematik werden soll. Abstrakte Probleme zu formulieren und zu lösen, das war es, was mich sehr gereizt hat und deshalb fiel die Entscheidung am Ende auf Mathematik.
Wie kam dann der Kontakt zu BCG zustande?
Eine gute Studienfreundin war damals schon bei BCG und hatte mir empfohlen, das Unternehmen kennenzulernen. Also besuchte ich eine Recruiting-Veranstaltung – und habe mich anschließend gleich beworben.
Ich habe mich in der ersten Interviewrunde mit einem promovierten Physiker über den Wechsel von der akademischen Laufbahn in die Unternehmensberatung ausgetauscht
Stiene Riemer, BCG GAMMA
Wie erlebten Sie das Bewerbungsprocedere? Es gibt Studiengänge, da weiß man, dass diese Prozesse früher oder später auf einen zukommen. Wenn man Mathematik studiert hat, ist das ja nicht unbedingt der Fall.
Richtig. Ich war überhaupt nicht darauf trainiert, aber habe mich im Vorfeld informiert, wie so ein Gespräch abläuft – und mich natürlich auf die berühmten Test-Cases gut vorbereitet. Es lief dann sehr positiv und die Interviewpartner sind sehr individuell auf mich und meinen Hintergrund eingegangen. Ich habe mich in der ersten Interviewrunde auch mit einem promovierten Physiker konkret und detailliert über den Wechsel von der akademischen Laufbahn in die Unternehmensberatung ausgetauscht.
Und jetzt sind Sie bei BCG GAMMA?
Genau. BCG GAMMA ist eine separate Einheit, die sich gezielt um Advanced Analytics und Machine-Learning-Themen kümmert. Ich bin ursprünglich als Junior Consultant bei BCG eingestiegen und habe auch länger „normal“ bei BCG gearbeitet. Aufgrund meines Studienhintergrunds habe ich vorwiegend Analytics und sehr stark quantitativ getriebene Projekte gemacht – es gab schließlich schon vor dem aktuellen Trend rund um Big Data und Artificial Intelligence großen Bedarf zu diesen Themen und damit viele Projekte. Vor meinem Studienhintergrund war das natürlich auch das, was mir besonders viel Spaß gemacht hat.
Wie viele Leute sind bei BCG GAMMA?
Wir sind weltweit ungefähr 450 Spezialist:innen. Die Kolleg:innen heißen hier Data Scientists und nicht Consultants. Es gibt mehrere Hubs weltweit, in Deutschland sitzen aktuell in drei der BCG-Büros GAMMA-Einheiten.
Aber Kunden richten sich vermutlich wie immer an BCG und dann wird intern darüber entschieden, ob GAMMA mit ins Spiel kommt?
Das ist unterschiedlich, aber grundsätzlich ist es immer ein gemeinsamer Prozess. Am Anfang stehen meist ganz normale Beratungsfragestellungen im Rahmen des Strategieconsultings. Wenn diese insbesondere mit der Verarbeitung großer Datenmengen gelöst werden können, kommt BCG GAMMA zum Zuge.
Die fast sofortige Messbarkeit unser Erfolge ist sehr schön bei unseren Projekten
Stiene Riemer, BCG GAMMA
Was mir jetzt helfen würde und wahrscheinlich allen, die das jemals lesen werden: Ein Beispiel.
Gerne. Ein Modehersteller trat vor einiger Zeit an BCG heran mit der Fragestellung: Ich möchte unseren Mode-Käufern mit unseren Werbekampagnen besser und gezielter ansprechen. Was gibt es für Möglichkeiten? Wir haben uns dann die vorhandenen Daten der Käufer angeschaut, die bei dem Unternehmen bereits eingekauft haben. Was wurde bisher gekauft? Gab es bestimmte zeitliche Präferenzen? Haben sie zum Beispiel stets Produkte gekauft, die farblich eher in die Richtung blau, grün, türkis gingen? Denn, wenn das der Fall ist, dann sollte man für diesen Kunden kein rotes Aufmacherbild wählen, sondern eins mit einem blauen Produkt.
Wir haben letztendlich die Daten so ausgewertet, dass man sagen konnte: Diesem Käufer sollte man folgendes Produkt empfehlen – und haben so eine personalisierte Ansprache statt einer One-Fits-All-Lösung entwickelt.
Kann man den Erfolg für den Kunden konkret bemessen?
Ja, und ich finde, die fast sofortige Messbarkeit unser Erfolge ist sehr schön bei unseren Projekten. Beim Modehersteller mit der personalisierten Werbung haben wir folgendes gemacht: Wir haben drei Länder ausgewählt und dann im Weihnachtsgeschäft die Käufergruppen 50 zu 50 aufgeteilt. An 50 Prozent der Käufer ist die standardisierte Werbung und an die andere Hälfte die personalisierte Werbung verschickt worden. So konnten wir tracken, wie die unterschiedlichen Käufergruppen reagieren und am Ende sehen, wie viel Prozent mehr Umsatz und Gewinn gemacht wurden im Vergleich zum standardisierten Verfahren.
Für unseren Kunden ist das toll, weil sofort sichtbar wird – sozusagen in einer kleinen Laborumgebung – was der Mehrwert ist. Das Unternehmen kann sofort entscheiden, ob es den Ansatz jetzt skalieren, weltweit ausbauen oder noch differenzierter ausgestalten möchte.
Wie schnell werden diese Maßnahmen denn wirksam?
In dem konkreten Beispiel war es so, dass wir Anfang September die ersten Gespräche geführt und in dem gleichen Jahr das Weihnachtsgeschäft in drei Ländern beeinflusst haben. In den Testgruppen wurde der Umsatz teilweise vervielfacht.
Mit so einem Erfolg hält man einen Kunden, oder?
Ja, so war es. Und es ist natürlich auch sehr reizvoll, weil er sehr schnell einen Return für sein Investment bekommt.
Was ist Ihr persönlicher Schwerpunkt – wo sind Sie der Spezialist?
Mein persönlicher Schwerpunkt ist die Übersetzung des Businessproblems in die Datenwelt, und darauf folgend das Aufsetzen des formalen mathematischen Problems sowie die Bestimmung der Lösung dafür.
Was mögen Sie besonders an Ihrem Job – außer der Mathematik?
Dass ich immer noch Abwechslung und ganz regelmäßig neue Probleme habe, die es wieder zu lösen und in den mathematischen Kontext zu überführen gilt. Diese Abwechslung und die Zusammenarbeit mit den Leuten, die einfach unglaublich viel Spaß macht – das sind die zwei wichtigsten Kernpunkte für mich.
Und was sind für Sie die größten Vorteile an der Arbeit in der Beratung?
Ich würde sagen, man genießt in der Beratung ein anderes Maß von Freiheit und von Abwechslung. Ich bin zum Beispiel vor zwei Jahren von Hamburg nach München gezogen, weil mein Freund den Beruf gewechselt hat. Das war völlig unproblematisch im Rahmen des Set-ups, wie wir es bei BCG haben. Die Flexibilität hat man in anderen Branchen und bei anderen Arbeitgebern selten. Was auch toll ist, sind die Möglichkeiten, die das Flex-Leave-System bietet. Nach einem Projekt kann man acht Wochen am Stück raus und zum Beispiel reisen.
Haben Sie sowas schon mal gemacht?
Ich war letztes Jahr tatsächlich vier Wochen auf Hawaii und habe es unglaublich genossen, einfach mal die Wanderschuhe anzuziehen oder Wassersport zu treiben.
Wissen Sie eigentlich, was Ihre Studienkollegen heute so machen?
Ein großer Teil ist als Lehrer an der Schule, weil etliche damals auf Lehramt studiert haben. Von den Kollegen, die mit mir promoviert haben, sind viele an der Uni geblieben und haben jetzt eine Professur und die klassische Forschungskarriere eingeschlagen. Dann gibt es noch den dritten Teil der Kollegen, die in die Finanzindustrie gegangen sind. Und tatsächlich ist ein nicht ganz kleiner Teil in die Beratung gegangen.
(Das Interview führte David Lins)
Stiene Riemer, BCG GAMMA
Stiene Riemer, Jahrgang 1985, studierte nach ihrem Abitur 2004 Mathematik in Kiel und promovierte anschließend. Nach Forschung und Lehre stieg sie 2012 bei BCG ein und ist inzwischen Partner im Münchner Büro. Ihre Freizeit verbringt die gebürtige Bremerin am liebsten mit Reisen – und dem anschließenden Nachkochen von unterwegs gesammelten Rezepten.