Stefan Ebinger von Atruvia unterstützt mit dem Konzept Standardbank regionale Genossenschaftsbanken
Stefan Ebinger ist seit 2016 bei Atruvia, wo er sich aktuell um Prozessmanagement und -optimierung kümmert. Im Interview erklärt er, wie das Konzept Die Standardbank zukünftig regionale Genossenschaftsbanken entlasten und digitalisieren wird.
Die Standardbank. Das wäre sicherlich kein Claim, den sich eine Bank in der Zeit der „individuellen Lösungen“ geben würde. Was ist genau unter diesem Begriff zu verstehen und warum ist die Standardbank eine gute, erstrebenswerte Sache?
Aus meiner Sicht muss man hier klar unterscheiden zwischen dem Geschäftsmodell und dem Betriebsmodell einer Bank. Natürlich ist es nicht das Ziel der Standardbank, die Geschäftsmodelle unserer Kunden zu vereinheitlichen, denn so würden aus meiner Sicht viele der Mehrwerte, die eine Genossenschaftsbank bietet, verloren gehen. Vielmehr geht es darum, durch die Definition von Standardprozessen und -abläufen Effizienzpotentiale innerhalb der Bank, aber auch bankenübergreifend zu heben und es unseren Kunden so zu ermöglichen, die Kundenbedürfnisse noch stärker in den Fokus zu rücken.
Was wäre so ein Standardprozess?
Beispielsweise haben alle Volks- und Raiffeisenbanken heute einen eigenen Prozess für die Anlage eines Girokontos oder einer Kreditkarte. Indem wir diese und weitere Prozesse standardisieren, entlasten wir die Volksbanken und Raiffeisenbanken und schaffen so weitere Freiräume für den Weg zur Digitalisierung. Dieses Vorgehen führt dabei keineswegs zu weniger Individualität. Vergleichen Sie das Ganze mit der Automobilindustrie. Die Hersteller nutzen für viele unterschiedliche Modelle standardisierte Bauteile wie beispielsweise das Fahrgestell oder den Motor und ermöglichen dennoch ein hohes Maß an Individualität. Eine solche Modularisierung und Industrialisierung wollen wir mit der Standardbank ebenfalls erreichen.
Ist dieses Bestreben eigentlich ein Must oder Nice-to-have?
Historisch gesehen gab und gibt es auch in der genossenschaftlichen FinanzGruppe immer wieder den Versuch, einheitliche Standards zu schaffen. Bisher war jedoch das Bedürfnis nach Standardisierung bei der einzelnen Bank nicht zwingend gegeben. Heute stellt sich das anders dar. Zum einen hat sich in Folge der zunehmenden Regulierung des Bankensektors und der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken der betriebswirtschaftliche Handlungsdruck, insbesondere auf Regionalbanken deutlich erhöht.
In Folge der Regulierung des Bankensektors und der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken hat sich der Handlungsdruck auf Regionalbanken deutlich erhöht
Stefan Ebinger, Atruvia AG
Zum anderen haben sich die Bedürfnisse und die Erwartungshaltung der Bankkunden in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Sie erwarten eine schnelle und flexible Bearbeitung ihres Anliegens und einfach bedienbare, digitale Lösungen um eigenständig und selbstbestimmt Prozesse durchführen zu können. Gleichzeitig soll der persönliche Ansprechpartner bei Bedarf für den Kunden erreichbar sein, und das am besten rund um die Uhr. Die hierzu erforderliche Digitalisierung und Automation der Prozesse können jedoch nur ausgehend von standardisierten Abläufen erfolgen.
Wie sieht das Ganze dann am Ende nach erfolgreicher Umsetzung aus?
Im Zielbild sieht das ganze so aus, dass die Bank nur noch ihre jeweiligen Produktvarianten und Preise parametrisieren muss. Die Mitarbeiter der Atruvia übernehmen die Anpassung, Pflege und Dokumentation der Prozesse und stellen Auswertungen zur Verfügung. Zudem können die nicht automatisierten Back-Office-Prozesse an entsprechend spezialisierte externe Dienstleister ausgelagert werden. Zusätzlich könnten auch gruppenweite Synergien, beispielsweise bei der Weiterbildung von Mitarbeitern, erzielt werden.
Wie weit ist dieser Prozess inzwischen gediehen?
Zu Beginn des Prozesses musste zunächst festgelegt werden, welche Leistungen und Produkte die Standardbank in einer ersten Ausbaustufe umfassen soll. Hierzu wurde im Rahmen von Workshops aus Vertretern verschiedener Banken und Atruvia ein erstes Konzept erarbeitet, welches auf bereits bestehenden und in der Vergangenheit stetig weiterentwickelten Prozessmodellen aus dem Bereich Beratung, Training und Outsourcing basiert.
Auf dieser Basis wurden dann ein Angebots- und Bestellprozess erarbeitet. In dieser ersten Ausbaustufe besteht die Standardbank aus unserer Leistung für die Online-Geschäftsstelle und unserem Passiv-Prozessmodell, also den Prozessen rund um die Anlage und Bearbeitung von Kundendatensätzen, Konten, Karten oder Online-Banking Zugängen.
Unser Ziel ist es, bis zum Jahresende mindestens 50 Volks- und Raiffeisenbanken für unsere Dienstleistung zu gewinnen
Stefan Ebinger, Atruvia AG
Was erleben Sie an Herausforderungen – und wo wollen Sie in fünf Jahren stehen?
Bezüglich der Umsetzung stehen wir aktuell vor der Herausforderung, die bestehenden Prozesse ohne Qualitäts- und Effizienzverlust zu konsolidieren und noch stärker zu standardisieren. Noch in diesem Jahr wollen wir jedoch eine einheitliche Prozesslandkarte erarbeiten, die innerhalb weniger Tage IT-technisch bei unseren Kunden umgesetzt werden kann. Zudem ist es das Ziel, bis zum Jahresende mindestens 50 Volks- und Raiffeisenbanken für unsere Dienstleistung zu gewinnen. Mit einer Pilotierung bei ausgewählten Kunden planen wir im ersten Quartal 2021. Der Breiteneinsatz ist dann für das zweite Quartal geplant.
In fünf Jahren wollen wir die Kundengruppe deutlich ausgeweitet und einen Großteil unserer weiteren Leistungen in die Standardbank integriert haben. Zu nennen sind hier beispielsweise Prozesse für den telefonischen Kundenservice oder das Kreditgeschäft.
Die Digitalisierung und der Wandel der Kundenbedürfnisse hat dazu geführt, dass Banken sich immer schneller anpassen müssen
Stefan Ebinger, Atruvia AG
Sie sind seit 2016 im Unternehmen. Was waren seitdem Ihre Aufgaben und wie hat sich das Arbeitsumfeld und die Branche in dieser Zeit verändert?
Einerseits denke ich, dass die Volks- und Raiffeisenbanken heute wie 2016 unter grundsätzlich ähnlichen Rahmenbedingungen agieren, denn ein Ende der Niedrigzinsphase ist nicht in Sicht und auch von Seiten der Regulatorik hat sich der Umfang und die Anzahl der Maßnahmen kaum verringert. Infolge hat sich der Kostendruck auf die Banken in den letzten vier Jahren natürlich verstärkt.
Auf der anderen Seite haben die Digitalisierung und der damit einhergehende Wandel der Kundenbedürfnisse dazu geführt, dass Banken sich immer schneller anpassen müssen. Sichere Trends wie laufende Erreichbarkeit, Mobile Payments oder Nachhaltigkeit müssen kurzfristig in den Strategien berücksichtigt werden und eine zukunftsfähige Gestaltung des Geschäftsmodells ist zur Sicherung einer nachhaltigen Rentabilität unbedingt notwendig. Diese Entwicklung bekommen wir als zentraler IT-Dienstleister selbstverständlich auch zu spüren und das hat auch Auswirkungen auf mein persönliches Arbeitsumfeld.
Mein Arbeitsumfeld hat in den letzten Jahren deutlich an Komplexität gewonnen, weil aufgrund der Vielzahl
unserer Leistungen ein größerer Wissensschatz erforderlich ist
Stefan Ebinger, Atruvia AG
Wie sehen diese Auswirkungen für Sie aus?
Als ich vor vier Jahren zu Atruvia kam, waren unsere Outsourcing-Dienstleistungen im Bereich Prozessoptimierung und Prozessmanagement noch nicht so umfangreich wie heute. Auch sind neue Leistungen hinzugekommen, an deren Entwicklung ich mich beteiligen durfte.
Insgesamt würde ich sagen, dass mein Arbeitsumfeld in den letzten vier Jahren nochmals deutlich an Komplexität gewonnen hat. Zum einen, weil aufgrund der Vielzahl unserer Leistungen und deren Umfang ein größerer Wissensschatz erforderlich ist und zum anderen, weil die Vernetzung der Leistungen untereinander immer wichtiger wird.
Auch der Aufbau eines Netzwerks innerhalb des Unternehmens ist noch wichtiger geworden, da wir auch immer öfter auf die Gestaltung unseres IT-Systems als solches einwirken wollen und müssen. Zusätzlich geht auch der Einsatz neuer Technologien nicht an uns vorbei. So beschäftigen sich einige meiner Kollegen beispielsweise intensiv mit den Einsatzmöglichkeiten von Robotic Process Automation.
Sie haben wie viele Ihrer Kollegen zunächst eine grundsolide Bank-Ausbildung in einer Genossenschaftsbank gemacht, bevor Sie zu Atruvia kamen. Gehört dieser Stallgeruch eigentlich bei Atruvia dazu? Wie ist das bei den Kollegen, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Es ist richtig, dass viele meiner Kollegen, wie ich, zunächst eine Ausbildung bei einer Genossenschaftsbank durchlaufen haben. Dieser „Stallgeruch“ bietet natürlich Vorteile, da man mit den Anwendungen von Atruvia schon einige Erfahrungen gesammelt hat und sich zu Beginn vielleicht etwas besser zurechtfindet. Grundsätzlich hat man aber auch ohne Ausbildung bei einer Genossenschaftsbank die Möglichkeit bei uns als Berater zu arbeiten. Gerade in den letzten Jahren haben wir immer wieder neue Kollegen aus anderen Bankengruppen oder aus dem Informatik-Bereich eingestellt. Diese bringen auch andere Sichtweisen und Ideen mit, von denen wir bei der Weiterentwicklung unserer Dienstleistungen profitieren können.
Stefan Ebinger, Atruvia AG
Stefan Ebinger, Jahrgang 1989, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Finanzassistent (Bankkaufmann mit Zusatzqualifikation) und arbeitete anschließend bei einer Genossenschaftsbank.
Nach einem Traineeprogramm mit dem Schwerpunkt Marktfolge Passiv schloss er sich 2016 Atruvia an, wo er sich aktuell unter anderem mit der Beratung von Outsourcing-Leistungen zum Thema Prozessmanagement und -optimierung beschäftigt und gerade eine Weiterbildung zum Prozessmanager bei der ADG abgeschlossen hat.