Dr. Thomas Fritz, Personalchef bei McKinsey, im Interview
Für Dr. Thomas Fritz, Personalchef von McKinsey in Deutschland, ist es eine der herausragenden Aufgaben, Digital Talents für die Strategieberatung zu gewinnen. Warum dieser Gruppe eine so herausragende Rolle zukommt, wie man sie für sich gewinnt und warum auch erfahrene Partner den Berufseinsteigern zuhören, erklärt er im Interview.
Wie schafft es McKinsey, die High Potentials unter den Absolventen zu gewinnen?
Der Ausgangspunkt für jedes Unternehmen stellt im Recruiting immer die Frage dar, wofür man als Arbeitgeber steht. Was stellt man den Absolventen in Aussicht, die zu einem kommen? McKinsey ist nach wie vor die führende Topmanagement-Beratung weltweit: Nirgends kann man so viel lernen oder findet eine derart große Vielfalt vor, wie bei uns. Das ist für Absolventen sehr attraktiv.
Dennoch – sehr gut qualifizierte Absolventen haben viele berufliche Alternativen.
Das war immer so und der Wettbewerb ist heute nicht weniger geworden. Deshalb versuchen wir, Studierende frühzeitig auf uns aufmerksam zu machen und persönlich mit ihnen in Kontakt zu treten. Das passiert sehr individuell: An einer Business School wissen die meisten schon im ersten Semester, wer McKinsey ist und die Beratung ist für viele BWLer ein spannendes Berufsfeld. Wenn wir mit Mathematikern oder Medizinern reden, müssen wir erst einmal erklären, was ein Unternehmensberater überhaupt macht.
Mediziner und Mathematiker können sich vermutlich nicht vorstellen, für McKinsey interessant zu sein.
Deshalb müssen wir sie gezielt ansprechen. Wir haben zum Beispiel spezielle Events für Informatiker, Mathematiker und Physiker, die auf das Thema Advanced Analytics ausgerichtet sind. Wichtig ist uns dabei, nicht das Berufsbild des Beraters in den Vordergrund zu stellen, sondern die Zielgruppe über ihr Fachwissen und ihre Leidenschaft zu erreichen. Wer beispielsweise Ingenieur ist und etwas bewegen will, sollte sich unser Unternehmen einmal genau anschauen. Denn wir können ihm Aufgabenstellungen bieten, die er so nur bei uns findet.
Welche Rolle spielt Social Media dabei, Ihre Zielgruppen zu erreichen?
Eine wichtige. Im Employer Branding sind wir insbesondere bei Facebook, Twitter und YouTube aktiv. Wir setzen insgesamt auf eine Mischung aus Online und Print, um auf unsere Events oder Angebote aufmerksam zu machen. Diese Kombination funktioniert sehr gut, denn wir haben noch nie so viele Bewerbungen erhalten wie in diesem Jahr.
Um für Digitalexperten attraktiv zu sein, ist es wichtig, ihrer Kompetenz Raum zu geben
Dr. Thomas Fritz, McKinsey
Welches ist der Schlüssel für diesen Erfolg?
Man begeistert Talente nur mit Inhalten. Diese wollen von uns erfahren, was den Beruf eines Beraters bei McKinsey wirklich ausmacht und welche Perspektiven wir dabei bieten. Ganz wichtig ist es, den angehenden Absolventen die Menschen zu zeigen, mit denen sie zusammenarbeiten können und natürlich auch deren Begeisterung zu transportieren. Deshalb sind unsere Events auch elementar, denn hier können sich Kandidaten ganz persönlich überzeugen, dass wir es ernst meinen und für unser Wertversprechen einstehen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Frauen zu fördern, gehört mit zu unseren Prioritäten. Auf unserem „Womens Day“-Event kommen alle unsere Beraterinnen zusammen, in der Summe mehrere hundert, um dem Nachwuchs Rede und Antwort zu stehen. Für eine Bewerberin ist das eine sehr gute Gelegenheit, persönlich nachzufragen, was McKinsey ausmacht.
Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung, was die Einstellung von Frauen bei McKinsey betrifft?
Vor zwanzig Jahren haben wir nur wenige Frauen eingestellt und dementsprechend gab es lange Zeit auch keine echten Vorbilder für junge Frauen. Und die braucht man, um Kandidatinnen zu erreichen. Heute haben wir diese und zeigen sie, womit wir wieder bei der Bedeutung des inhaltlich getragenen Personalmarketings sind. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Ansatz, die verschiedenen Karrierepfade unserer Beraterinnen anhand von Vorbildern zu zeigen, eine sehr hohe Anziehungskraft auf Bewerberinnen hat.
Wir haben dieses Jahr rund 40 Prozent neue weibliche Berufseinsteiger, was dem höchsten Wert aller Zeiten bei McKinsey entspricht
Dr. Thomas Fritz, McKinsey
Haben Sie eine praktische Empfehlung, wie eine Beratung den Anteil ihrer weiblichen Consultants erhöhen kann?
Wir haben uns im letzten Jahr zum Ziel gesetzt, noch mehr weibliche Praktikanten zu gewinnen. Dazu starteten wir die Kampagne „Praktikantinnen gesucht“: Fünf unserer Partnerinnen haben über verschiedene Kanäle aktiv um eine Praktikantin für ihr Team geworben. Im Resultat war knapp die Hälfte unserer Praktikanten weiblich und wir haben dieses Jahr rund 40 Prozent neue weibliche Berufseinsteiger, was dem höchsten Wert aller Zeiten bei McKinsey entspricht.
Das ist bemerkenswert, weil viele Beratungen Schwierigkeiten haben, genügend junge Beraterinnen zu gewinnen. Was macht für Sie generell die Generation Y aus?
Sie will vor allem abwechslungsreich arbeiten und dabei viel lernen. Berufseinsteiger möchten heute auch die Gewissheit haben, Dinge zu entwickeln oder Projekte voranzutreiben, die hohe Relevanz haben und möglichst nicht als theoretisches Konstrukt in der Schublade landen.
Wie hat sich die Erwartungshaltung Ihrer Bewerber gewandelt?
Vor zehn Jahren war es ein wichtiges Argument, schnell Karriere zu machen. Die Bewerber haben damals verglichen, wie schnell man bei welcher Beratung Partner wird. Heute fragen sie uns: Wie individuell kann ich bei McKinsey meine Karriere gestalten? Kann ich an dem Thema arbeiten, das mich besonders reizt oder kann ich auch in anderen Ländern für McKinsey tätig sein? Ist es möglich, mal eine Pause zu machen, um für die Familie da zu sein oder eine Weltreise zu machen? Das Recruiting muss sich generell darauf einstellen, dass der Fächer an offerierten Möglichkeiten größer und flexibler sein muss. Der Traumjob von heute entspricht nicht einem starren Aufgabenprofil, sondern regt zum Mitgestalten des eigenen Karrierepfades an und wird somit Bestandteil einer immer individuelleren Lebensplanung.
Beginnt dieses individuelle Kümmern schon beim Recruiting?
Sicherlich. Grundsätzlich ist es so, dass diejenigen, denen wir ein Angebot machen, auch Alternativen haben. Trotzdem entscheiden sich über 90 Prozent für uns. Das liegt zum einem daran, dass wir ihnen ein gutes Angebot machen. Das liegt aber vor allem daran, dass wir uns um jeden Kandidaten sehr individuell bemühen und versuchen, mit ihm gemeinsam zu entwickeln, wie denn das, was er persönlich erreichen will, mit dem, was wir anzubieten haben, zusammenpasst.
Die Kandidaten sollten komplexe Probleme lösen können, aber auch die Fähigkeit besitzen, andere zu motivieren und zu führen
Dr. Thomas Fritz, McKinsey
Wie finden Sie denn für sich heraus, ob ein Kandidat zu McKinsey passt?
Bei der Beurteilung eines Kandidaten kommt es bei uns auf zwei Dinge an: Er oder sie sollte zum einen in der Lage sein, komplexe Probleme zu lösen, wofür sich Case Studies anbieten. Zum anderen suchen wir Persönlichkeiten, welche die Fähigkeit besitzen, andere dabei zu begleiten, eine Veränderung herbeizuführen. Dies finden wir über Einzelgespräche heraus.
Mit welcher Methodik gelangen Sie am Ende zu einer Kandidateneinschätzung?
Der erste Teil besteht aus einer Diskussion zu einer Problemstellung. Es ist nicht so, dass die Kandidaten ein Blatt Papier und eine Stunde Zeit bekommen, um ein Problem zu lösen. Die Lösung wird gemeinsam im Zwiegespräch mit dem Interviewer entwickelt, denn so lernen wir den Ansatz zur Problemlösung des jeweiligen Bewerbers kennen. Im zweiten Teil führen wir Erfahrungsinterviews: Wir lassen uns konkrete Erfahrungen schildern, in denen der Bewerber oder die Bewerberin jene Eigenschaften gezeigt hat, auf die es uns ankommt. Und dabei versuchen wir, zu verstehen, was ihn oder sie motiviert und welche Fähigkeiten noch weiter entwickelt werden könnten, um zukünftig als Consultant Veränderung zu gestalten.
Wer führt diese Gespräche?
Das sind Berater, die wir sehr intensiv auf diese Interviews vorbereiten. Jeder unserer Kollegen muss dazu vorher ein zweitägiges Training durchlaufen und wird danach ein paar Mal bei Interviews begleitet, bevor er allein Gespräche mit Bewerbern führt.
Einer unser zentralen Werte ist die Verpflichtung zum Widerspruch – wer meint, die bessere Idee zu haben, hat die Pflicht diese auch zu äußern
Dr. Thomas Fritz, McKinsey
Früher ist man als Absolvent in einem Unternehmen erst einmal Lernender gewesen. Heute kehrt sich das in manchen Bereichen um, weil beispielsweise die Digitalkompetenz der Neueinsteiger höher ist, als die der Vorgesetzten. Wie tragen Sie dem Rechnung?
Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass die Digital Talents absolut elementar für Unternehmen sind. Das Problem ist, dass nicht annähernd so viele die Hochschulen verlassen, wie von ihnen benötigt werden. Deshalb war uns früh klar, dass McKinsey auch für diese digitalen Talente ein großartiger Arbeitgeber sein muss. Dies geht nur, wenn wir der Kompetenz der Digitalexperten Raum geben und ihnen vertrauen. Einer unser zentralen Werte ist, was wir die „Obligation to Dissent“, nennen: Die Verpflichtung zum Widerspruch. Das heißt, derjenige, der meint, die bessere Idee zu haben, hat die Pflicht sie auch zu äußern. In der Realität besitzen wir dadurch eine Kultur, in der unsere Partner daran gewöhnt sind, jungen Kollegen aufmerksam zuzuhören. Und genau dadurch können die Digital Talents bei McKinsey herausragende Ideen entwickeln, denen unsere Berater an den richtigen Stellen bei den Klienten Gehör verschaffen.
Ihre Digitalisierungsberatung bauen Sie weiter aus. Sie eröffneten letztes Jahr in Berlin ihr weltweit neuntes Digital Lab. Gelingt es Ihnen damit, Kandidaten zu gewinnen, die auch in einem Start-up hätten Karriere machen können?
Ja, das gelingt. Aber eine ausgeprägte Konkurrenz zu Start-ups sehe ich nicht. Unsere Digital Labs ziehen Menschen an, die digital ausgebildet sind und auf einem Top-Level arbeiten wollen. Die Digitalisierung ist die aktuell größte Herausforderung, die auch unser Geschäftsmodell sehr fundamental berührt. Dafür brauchen wir Absolventen, die sich im Studium intensiv mit Informationstechnologie und Geschäftsmodellen beschäftigt haben. Denn ein Digital Talent ist kein reiner Programmierer, sondern jemand, der auch den strategischen Blick für das Business mitbringt. Die Labs sind Orte, an denen man auf höchstem Niveau mit sehr kompetenten Kollegen an verschiedenen digitalen Themen arbeiten kann.
Gibt es aus Ihrer Sicht leicht vermeidbare Fehler in der Personalgewinnung?
Es kommt auf die richtige Einstellung an, die ein Arbeitgeber auch verkörpern muss. Behandle ich einen Bewerber oder eine Bewerberin mit dem größtmöglichen Respekt, der größtmöglichen Prozessgeschwindigkeit, Zuverlässigkeit und auch Freundlichkeit? Oder begreife ich den Bewerber als Bittsteller, der dankbar für jede Regung des Unternehmens sein darf? Sie glauben nicht, wie viele Unternehmen leider immer noch eine derartige, überhebliche Haltung zeigen. Wir haben bei McKinsey das Glück, dass wir uns wirklich immer schon sehr stark um Talente bemühen mussten. Wir freuen uns tatsächlich über jede Bewerbung und sorgen dafür, dass der Bewerber mit uns die bestmögliche Erfahrung macht – vom Anfang bis zum Ende.
Was raten Sie den Menschen, was sie heute studieren sollen? Und was glauben Sie, sind die Sachen, die man vielleicht als junger Mensch ausprobieren sollte?
Ich glaube, dass die Innovationsgeschwindigkeit drastisch zunimmt und man immer schlechter Vorhersagen darüber treffen kann, welches Wissen in Zukunft wichtig ist. Deswegen würde ich immer auf Neugierde setzen. Man sollte lernen, sich ungewohnten Situationen auszusetzen und sich auch mal außerhalb seiner eignen Komfortzone bewegen. Dann ist es fast egal, was man studiert.
Dr. Thomas Fritz, McKinsey & Company
Dr. Thomas Fritz war fast sieben Jahre als Berater bei McKinsey in Köln tätig, bevor er 2008 Director of Recruiting wurde. Zuvor studierte er Betriebswirtschaftslehre in Bonn, Stockholm und Köln.
An der Universität Witten/Herdecke promovierte er im Rahmen des McKinsey Fellowprogramms über das Thema „Fußball und Strategie“. Seit 2014 ist er Personalchef für die Berater in Deutschland. Thomas Fritz lebt mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Köln.