„Insbesondere die junge Zielgruppe unterstreicht den Fokus auf Nachhaltigkeit”
Das Unternehmen Atruvia, Digitalisierungspartner der genossenschaftlichen FinanzGruppe und einer der größten Finanz-IT-Dienstleister in Deutschland, hat zusammen mit Statista jüngst eine Studie zu nachhaltigen Kontomodellen erstellt. Angestoßen und mitbegleitet hat dies Malte Wingen, der bei der Atruvia AG die Kontomodellberatung verantwortet. Im Interview spricht er über Beweggründe, Ergebnisse und Learnings.
Sie haben mit Atruvia und Statista eine Studie zu nachhaltigen Kontomodellen erstellt. Zunächst einmal: Was macht ein nachhaltiges Konto(modell) aus?
Das ist eine gute Frage. Wir haben, als wir uns Gedanken zu nachhaltigen Kontomodellen gemacht haben, viel über Narrative diskutiert. Ob es der Ausgleich des CO2-Fußabdrucks ist oder die Karte aus nachhaltigem Material. Uns war sehr schnell klar, dass wir ganz viel über Vermutungen sprechen und wenig fundierte Literatur zu diesem Thema vorliegt. Insbesondere aus Kundenperspektive. Daher haben wir Statista beauftragt, eine repräsentative Studie durchzuführen und Kunden gezielt zu den Elementen eines nachhaltigen Kontos zu befragen. Methodisch haben wir uns am KANO-Modell orientiert. Dies hat einfach den Vorteil, dass wir aus Kundensicht eine Antwort darauf bekommen haben, welche möglichen Komponenten Begeisterungs-, Leistungs- und Basisfaktoren darstellen. Insbesondere die Begeisterungsmerkmale haben uns interessiert, um herauszufinden, welche Optionen eines nachhaltigen Kontomodells marktdifferenzierend durch Kunden wahrgenommen werden.
Ein nachhaltiges Konto zeichnen aus Kundensicht besonders Transparenz und echte Nachhaltigkeit aus. So ist die papierlose Kontoführung ein Basisfaktor, der heute einfach vorausgesetzt wird. Eine transparente Nachhaltigkeitsstrategie ist ein Beispiel für ein Leistungsmerkmal, welche die Kunden zwar nicht begeistert, jedoch zu Unzufriedenheit führt, wenn sie fehlt. Besonders begeistern lassen sich Kunden durch nachhaltige Karten und insbesondere durch echte regionale Nachhaltigkeitsprojekte mit der Möglichkeit der Einflussnahme. Besonders ambivalent wird der heute häufig anzutreffende Ausgleich des CO2-Ausstoßes gesehen, da hier schnell eine Form des Greenwashing unterstellt wird. Dies empfinden Kunden als besonders negativ und führt in der Folge vielfach zur Ablehnung eines solchen Kontomodells.
Nachhaltigkeit ist eines der zentralen Themen der nächsten Jahre, insbesondere, da es durch Gesetzgebung und Regulatorik zunehmend Einzug in den Unternehmensalltag hält
Können Sie uns einen Einblick in die Erstellung der Studie geben und etwas über die Beweggründe und Hintergründe erzählen?
Die Studie haben wir im Rahmen einer Masterthesis erstellen lassen. Wir begleiten regelmäßig Mitarbeiter*innen in einem praxisnahen, dualen Studium und schaffen dadurch ein solides fachliches Fundament für den Start in eine Consultinglaufbahn. Natürlich suchen wir hier nach Fragestellungen, die unsere Mandanten heute und in Zukunft bewegen. Dass Nachhaltigkeit eines der zentralen Themen der nächsten Jahre ist, wird heute wohl keiner mehr abstreiten. Insbesondere, da es auch durch die Gesetzgebung und Regulatorik zunehmend Einzug in den Unternehmensalltag hält. Wir haben hier einfach gesehen, dass es im Investmentbereich und im Kreditgeschäft zunehmend mehr Lösungen mit nachhaltigen Elementen gibt. Bei der Kontoführung sah es dort jedoch anders aus. Es gibt einzelne spezialisierte Anbieter und einzelne isolierte Angebote. Zudem hatten wir die These, dass gerade Unternehmen, die regional agieren, eine exzellente Ausgangsbasis haben, um Nachhaltigkeit glaubhaft zu verkörpern.
Welche Herausforderungen gab es in der Erarbeitung?
Die größte Herausforderung war, dass es relativ wenig Literatur und empirische Forschungsergebnisse gab und wir vieles neu fragen und denken mussten. Dies hat in der Vorbereitung der Studie zu vielen Iterationen geführt. Herausfordernd war ebenso, eine Abgrenzung zwischen dem Produkt Konto und weiteren Angeboten einer Bank sicherzustellen. Wir wollten ja schließlich wissen, was die Kunden an einem nachhaltigen Konto besonders begeistert. Ebenso hatten wir natürlich alle bereits Erfahrungen aus Kontomodellberatungen, die wir seit Jahren bei uns im Consulting machen. Dies führte unvermeidlich zu eigenen Thesen, wie denn wohl ein solches Konto aussehen muss. Die Herausforderung war dann, die eigene Meinung auch in Frage zu stellen. Und die Kunden haben uns einen Blick gegeben, den wir vielfach so nicht vermutet hätten.
Was sind für Sie die interessantesten und überraschendsten Erkenntnisse?
Interessant und für mich auch gleichermaßen überraschend, war das sehr hohe Interesse von 55 Prozent aller Befragten an einem nachhaltigen Konto. Hier hat sich vor allem gezeigt, dass ein nachhaltiges Kontomodell über alle Altersgruppen hinweg relevant ist, wobei dann wiederum weniger überraschend die jüngeren Kundengruppen bis 45 Jahre eine leicht höhere Affinität gezeigt haben. Besonders überraschend war die hohe Wechselbereitschaft bei den interessierten Kunden. Zudem hat sich gezeigt das Kunden bereit sind für die Nutzung eines nachhaltigen Kontos zu bezahlen. Mehr als die Hälfte der befragten Personen mit einem Interesse an nachhaltigen Kontomodellen ist bereit, hierfür Geld zu investieren. Insbesondere die junge Zielgruppe unterstreicht dabei den Fokus auf die Nachhaltigkeit. Die Zahlungsbereitschaft für ein nachhaltiges Konto ist in der Gruppe bis 34 Jahre am größten. Die Zahlungsbereitschaft liegt hier bei deutlich über einem Euro pro Monat.
Die Mehrheit der Kunden mit Interesse an nachhaltigen Kontomodellen informiert sich auf dem digitalen Kanal über die Angebote, Beratungsgespräche in der Filiale spielen eine eher untergeordnete Rolle
Was bedeuten diese Ergebnisse für die Banken?
Dieses große Interesse der jungen Kunden und Kundinnen bietet den Banken eine große Chance, gerade die Kund*innen der Zukunft mit einem spannenden nachhaltigen Girokonto an sich zu binden. Voraussetzung dafür ist die passende Ausgestaltung der Girokonten und vor allem die konsequente Vermeidung von Komponenten, die den Verdacht des Greenwashing entstehen lassen. Unerlässlich ist zudem, ein nachhaltiges Konto mit einer sichtbaren Nachhaltigkeitsstrategie zu verankern und die Kunden zu informieren. Heute nutzen nur neun Prozent der Kunden ein nachhaltiges Konto bei einer Bank. 55 Prozent würden jedoch in ein entsprechendes Konto wechseln. Über ein Drittel der Kunden würde sogar die Bankverbindung wechseln, wenn ihnen eine andere Bank ein nachhaltiges Konto anbietet. Bei den Kommunikationskanälen wird es insbesondere auf den digitalen Kanal ankommen. Hier informiert sich die deutliche Mehrheit die Kunden mit Interesse an nachhaltigen Kontomodellen über die Angebote. Klassische Kanäle, wie beispielsweise das Beratungsgespräche in der Filiale spielen eine eher untergeordnete Rolle, können aber natürlich ergänzend einen Mehrwert stiften. Grundsätzlich merken wir auch in unseren Beratungsmandaten, dass die Zeit reif ist, sich einem nachhaltigen Kontomodell zu widmen.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei Atruvia insgesamt, auch in Bezug auf die eigenen Beratungsleistung?
Da würde ich gerne meine Kollegin Dr. Marina Maier ins Spiel bringen, die bei uns das Nachhaltigkeitsmanagement verantwortet und viel fundierter antworten kann, als ich das könnte.
Marina Maier: Als genossenschaftliches IT-Unternehmen tragen wir Verantwortung – natürlich auch in Bezug auf (ökologische) Nachhaltigkeit. Und die hat viele Facetten – intern, in Richtung unserer Kund*innen, also in Richtung Bank, aber auch gesellschaftlich. Ein Beispiel: Als Betreiber von hochverfügbaren Rechenzentren ist es klar, dass Atruvia eine Menge Strom verbraucht, um den 24/7-Betrieb sicherzustellen. Hier setzen wir an, verschlanken Prozesse, um Effizienz zu steigern und versuchen, den Energieverbrauch laufend zu senken. Wo möglich, beziehen wir Ökostrom, wo nicht möglich, kompensieren wir den Verbrauch.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt: Wir unterstützen unsere Kund*innen dabei, ihren Anforderungen in Sachen Nachhaltigkeit nachzukommen. Da geht es um regulatorische Anforderungen wie die EU-Taxonomie, die zuletzt für größere mediale Aufmerksamkeit gesorgt hatte und die die Banken künftig umsetzen müssen. Dafür ist wiederum ein umfangreiches Datenmanagement nach ESG (environmental, social, governance) notwendig – und da kommt Atruvia ins Spiel. Mit Blick auf die Gesellschaft ist uns beispielsweise ein sauberer und ethisch korrekter Umgang mit den Daten der Endkund*innen ein großes Anliegen. Das in aller Kürze, Nachhaltigkeit ist für uns ein unglaublich vielfältiger Begriff.
Malte Wingen // Atruvia AG
Malte Wingen, Jahrgang 1988, verantwortet bei der Atruvia AG Projekte zur Neugestaltung des Zahlungsverkehrs und damit verbunden auch das Pricing im Zahlungsverkehr für die VR-Banken. Nach einer Banklehre studierte er an der Frankfurt School of Finance & Management und war beruflich als Firmen- und Privatkundenbetreuer aktiv. Seit 2019 ist er Consultant bei Atruvia und absolviert aktuell berufsbegleitend ein EMBA-Studium an der Universität Münster. In seiner Freizeit genießt er die Zeit zu Hause mit seiner Familie. Sportlich ist er seit vielen Jahren beim Badminton aktiv und unterstützt den Verein zudem ehrenamtlich in der Vorstandsarbeit. Neben dem sportlichen Hobby ist er in der Kleinstadt Beckum im Ortsansässigen Schützenverein aktiv.