Im Gespräch mit Dr. Kai Bender, Deutschlandchef von Oliver Wyman
Seit knapp einem Jahr ist Dr. Kai Bender Deutschlandchef von Oliver Wyman. Dass mit ihm ein promovierter Informatiker die Geschicke des Konzern leitet, darf durchaus als Fingerzeig verstanden werden. Bender führte zuletzt die deutsche und österreichische Digital- und IT-Sparte und wird das Geschäft mit der digitalen Transformation weiter ausbauen. David Lins, Chefredakteur von junior //consultant, traf den 47-Jährigen in München.
Herr Dr. Bender, können Sie uns eine Standortbestimmung des Unternehmens Oliver Wyman geben?
Oliver Wyman ist eine der Top-Strategieberatungen mit weltweit mehr als 5.000 Mitarbeitern. Je nachdem, welche Kennzahlen man sich ansieht und auf welches Ranking man guckt, sind wir im deutschen Markt mit unseren fünf Offices die Nummer drei oder Nummer vier. Als Strategieberatung sind wir ein Vollsortimenter, so dass wir die Vorstände und Entscheidungsträger von Unternehmen praktisch aller Branchen beraten. Unsere Kunden sind typischerweise Großunternehmen und haben großen Veränderungsbedarf in technologischer und digitaler Hinsicht.
Die digitale Transformation trifft alle, insofern ist es ein Thema für die Strategieberatung und für uns als Oliver Wyman ganz besonders. Wir haben uns natürlich überlegt, dass wir nicht allein auf der Welt sind und auch nicht der einzige Dienstleister, der sich mit dem Thema Digital beschäftigt. Wie können wir uns da eigentlich positionieren? Wo ist ein möglicher Einstiegspunkt oder eine Sache, die wir anders machen können als andere? In diesen Prozess haben wir viel Zeit und Arbeit investiert. Wir haben also nicht als das Thema groß wurde, sofort alles als digital deklariert und dann so weitergemacht wie bisher. Um wirklich glaubhaft zu sein, mussten wir uns zunächst einmal selbst einer digitalen Transformation unterziehen.
Wie sind Sie diese interne digitale Transformation angegangen?
Wir haben das in drei Schritte unterteilt. In einem sehr strukturierten Prozess befragten wir 500 Top-Entscheider weltweit, welche Leistungen sie von ihrem Beratungspartner zukünftig erwarten. Wir haben dann als zweiten Punkt 2015 und 2016 ein Training durch die komplette Partnerschaft von Oliver Wyman weltweit betrieben und die ganzen Begrifflichkeiten so sortiert, dass jeder bei uns damit souverän hantieren kann. Jedem muss klar sein, wo wirklich die Veränderung liegt, wenn man auf eine agile Arbeitsweise umsteigt.
Wir haben massiv in den Ausbau von Fähigkeiten investiert und dafür einige Unternehmen zugekauft
Dr. Kai Bender, Deutschlandchef Oliver Wyman
Als dritten Schritt haben wir massiv in den Ausbau von Fähigkeiten investiert. Wir haben Unternehmen zugekauft im Bereich Software Engineering, im Bereich Customer Centric Innovation, im Bereich User Experience Design – mit Firmen wie der Digitalagentur Draw, dem Design-Thinking-Unternehmen 8Works oder den Software-Spezialisten von LShift.
Wie werden diese Firmen eigentlich ausgewählt? Sind das Unternehmen, mit denen man vorher länger schon zusammengearbeitet hat?
Ja, in der Regel ist es so, wie Sie sagen. Der beste Prüfstein ist tatsächlich die Zusammenarbeit. Wir machen über einen längeren Zeitraum gemeinsame Projekte und irgendwann sind wir uns dann sehr sicher, dass das gut zusammenpasst. Wobei wir da etwas anders machen als unsere Wettbewerber. Es ist nicht so, dass wir eine Perlenkette von Kleinbeteiligungen um uns gruppieren, sondern wir integrieren die Kolleginnen und Kollegen dann tatsächlich, sodass wir als Oliver Wyman ein ganz vielgestaltiges Portfolio von Leuten haben, die wir aus einer Hand zum Kunden bringen.
Das bleiben aber relativ eigenständige Unternehmen?
Nein, sie sind Teil von Oliver Wyman und voll integriert.
Das überrascht mich. Ich habe mir gerade die Webseite von Draw angesehen und der Name Oliver Wyman taucht nur sehr dezent auf.
Ja, das ist richtig beobachtet. Wir machen keine Marken kaputt. Draw lebt als Marke weiter, weil Draw eigene Kunden hatte, die sie auch jetzt weiter bedienen. Aber sie sind komplett integriert, sowohl organisatorisch als auch räumlich. Auch die Engineers von LShift sitzen im Büro von Oliver Wyman in Berlin. Das ist tatsächlich anders als bei Wettbewerbern.
Gut, wohin geht die Reise nun nach der eigenen Veränderung?
Die Firma Oliver Wyman wird sich global in eine Richtung entwickeln, die sehr viel stärker das Arbeiten mit digitalen Assets beinhaltet. Die Erfahrung und das methodische Know-how, das wir über die Jahrzehnte aufgebaut haben, gießen wir in wiederverwendbare Produkte, die wir in unserem Beratungsalltag nutzen können.
Diese Produkte, von denen Sie sprechen … das ist Software?
Das ist Software. Aber es ist Software, die Teil des Beratungsprozesses ist. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel anhand der Konfiguration von Lagerfahrzeugen. In Deutschland kennt man das so: Ich bestelle ein Auto, mache mit dem Händler aus, wie es konfiguriert werden soll und der Hersteller baut das dann genau nach Wunsch für mich. In den meisten Märkten weltweit ist das nicht so. In den USA und China werden fast nur Lagerfahrzeuge verkauft – also quasi Autos von der Stange. Die werden vom Händler bestellt, konfiguriert und in den Laden gestellt. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, welche Konfiguration der Hersteller bestellen soll. Das ist, wie Sie sich vorstellen können, von Hersteller zu Hersteller total unterschiedlich, weil der Kunde eines Herstellers von Mittelklasselimousinen ganz andere Präferenzen hat als der Käufer eines Herstellers von Sportwagen.
Jetzt kommen wir ins Spiel. Wir haben über die letzten zehn Jahre ein methodisches und algorithmisches Wissen aufgebaut, wie dieses Problem gelöst werden kann – und zwar mit messbarer Wirkung. Man kann tatsächlich sagen: Lieber Hersteller, wenn du unsere Methode anwendest, dann wird der Ertrag pro Auto um den Faktor X steigen. Und die dahinter stehende Logik ist in eine Software gegossen. Das ist genau so ein Asset, von dem ich spreche. Das verkaufen wir natürlich nicht, sondern passen es im Beratungsprozess auf die konkreten Gegebenheiten des Herstellers an. Welche Autos stellt er her? Welche Sonderausstattungen hat er im Katalog? Wo verkauft er? In manchen Regionen geht ein gelbes Cabrio total gut, in anderen überhaupt nicht. Das muss man alles wissen und das Asset entsprechend mit der Information füttern – und es so weiterentwickeln, dass es dann genau zu dem Kunden passt. Ausgangsbasis ist tatsächlich eine Grundlogik, die in einem digitalen Asset vorliegt. Und solche Assets haben wir einige und machen wir noch viel mehr.
Zur Zeit beherrscht die digitale Transformation als Treiber des Beratungsmarktes die Schlagzeilen. Wenn ich recht informiert bin, sehen Sie die Mobilität als die zukünftig lukrativste Beratungssparte. Können Sie das erläutern?
Gerne. Mobilität halte ich für eines der ganz großen Themen und diese Meinung habe ich nicht exklusiv. Unter Mobilität verstehe ich aber nicht die Autoindustrie oder den öffentlichen Nahverkehr, sondern hier geht es um Mobilität als gesellschaftliches Phänomen.
Wir alle werden das Zusammenleben von Menschen in den Städten neu denken und Infrastrukturen verändern müssen
Dr. Kai Bender, Oliver Wyman
Sehen Sie, in ein paar Jahren werden zwei Drittel der Menschen in den Städten leben. Wir erleben weltumspannend den Trend, dass Leute in die Städte ziehen und damit sich komplett wandelnde Lebens-, Arbeits- und Konsumumstände.
Der Mensch in der Zukunft wird sich ganz anders verhalten. Er wird anders leben, er wird anders arbeiten und er wird sich deshalb anders bewegen müssen – unter anderen Randbedingungen, mit anderen Ressourcen, mit anderem Zeiteinsatz und auch mit einer anderen Motivation. Und das führt dazu, dass wir das Zusammenleben von Menschen in den Städten neu denken müssen. Da hilft es eben nicht, wenn wir uns die Frage stellen, fährt das Auto der Zukunft jetzt mit Wasserstoff oder Strom. Über Autonomes Fahren bekommt man bestimmt fünf Prozent Kapazität aus den Autobahnen raus, das ist schön und gut. Es nützt mir aber nichts, wenn die Belastung schon jetzt jedes Jahr um sieben Prozent steigt.
Um das Problem zu lösen, muss man andere Fragen stellen. Zum Beispiel, warum eigentlich alle pendeln müssen. Und dann ist man schnell bei der Frage, ob man die Bankentürme in Frankfurt noch als Geschäftsgebäude braucht oder nicht viel eher als Wohnraum? Hier in Deutschland werden wir Infrastrukturen verändern müssen und wieder lernen müssen, Infrastrukturen zu bauen – was wir immer konnten, aber irgendwie verlernt haben.
Die Unternehmensberatung ist und bleibt ein wichtiger Katalysator für Veränderung in der
Gesellschaft
Dr. Kai Bender, Oliver Wyman
Ist das noch Zukunftsmusik oder ist Oliver Wyman bereits aktiv in solchen Projekten involviert?
Wir sind hier bereits aktiv und arbeiten mit einem Großkonzern an einem Konzept für eine osteuropäische Hauptstadt. Die Veränderung fängt also nicht unbedingt in Deutschland an, aber ich sehe kein Szenario, in dem wir dieser Diskussion um die Stadt der Zukunft auf lange Sicht aus dem Weg gehen können.
Das klingt nach einem sehr interessanten Beschäftigungsfeld. Vielleicht kennen Sie ja noch ein paar Gründe für Absolventen, sich Oliver Wyman anzuschließen?
Und ob! Die Unternehmensberatung ist und bleibt ein wichtiger Katalysator für Veränderung in der Gesellschaft. Oliver Wyman ist ein Unternehmen, in dem man unternehmerische Freiräume gestalten und für sich selbst und die eigene Karriere nutzen kann. Wir sind kein Haus der ausgetretenen Pfade und der einen einzigen Weltanschauung. Wir bieten Platz für persönliche, selbstbestimmte Entwicklung im Rahmen einer Unternehmensberatungskarriere in einem globalen Verbund.
Ich glaube außerdem, dass wir eine tiefere Branchenspezialisierung als alle anderen am Markt bieten. Im Thema Digital ist man bei Oliver Wyman im absoluten Zentrum dessen, was sich tut – und zwar beim Doing der Projekte und nicht beim Schreiben von PowerPoint-Präsentationen. Das ist eine wahnsinnig spannende Reise. Ich glaube, Oliver Wyman war in den letzten dreißig Jahren wahrscheinlich die Erfolgsgeschichte im globalen Beratungsmarkt. Und jeder, der da mitschreiben will, ist mir herzlich willkommen.
Dr. Kai Bender, Oliver Wyman
Dr. Kai Bender ist seit 2018 Market Leader für Deutschland und Österreich bei der internationalen Strategieberatung Oliver Wyman. Der 47-Jährige ist promovierter Informatiker und seit 2009 Partner der Beratung. Zuletzt baute Bender den Oliver-Wyman-Standort in Berlin mit auf und leitete die deutsche und österreichische Digital- und IT-Sparte. Der passionierte Skifahrer lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Berlin.