Personalberater Stephan Buchner sucht Leute für „ganz oben“
Dr. Stephan Buchner hat zehn Jahre lang für Bertelsmann unter anderem als Mitglied der Geschäftsführung gearbeitet. Heute ist er Berater bei Deutschlands führendem Personalberater Egon Zehnder. Im Interview, das wir in den Räumlichkeiten des Münchener Zehnder-Standortes führten, gibt er einen Einblick in die Kriterien, nach denen er heute Spitzenkräfte beurteilt.
Herr Dr. Buchner, warum wechselten Sie damals auf die Beraterseite zu Egon Zehnder?
Die Personalberatung war damals sicherlich kein Karriereziel von mir. Aber nach zehn tollen Jahren bei Bertelsmann mit vielen unterschiedlichen Aufgabenstellungen war für mich die Zeit gekommen, mich neu zu orientieren. Ursprünglich wollte ich damals mit Egon Zehnder meine nächsten Karriereschritte diskutieren und mich in eine neue Position vermitteln lassen. Doch nach den ersten Gesprächen wurde ich gefragt, ob ich mir auch vorstellen könne, selbst in der Personalberatung zu arbeiten.
Und dies hat Sie gereizt.
Ja. Denn mich interessierte, eine andere Teamkultur kennenzulernen. Großunternehmen sind immer in der Gefahr, eine gewisse Ellenbogen-Mentalität zu befördern. Es sind in diesen Strukturen oft die guten Selbstdarsteller, die Karriere machen. Dies führt fast zwangsläufig dazu, dass es dort ein eher egozentriertes Arbeiten gibt.
Inwiefern ist dies bei Egon Zehnder anders?
Wir haben nur ein Profitcenter und das ist global. Es gibt nur einen Topf und in den zahlen alle ein. Es gibt eine andere Art von Teamkultur, jeder hilft jedem. Egon Zehnder hat das eingeführt, weil er wollte, dass zuerst der Klient zählt, dann das Team und am Ende erst der Einzelne. Monetäre Incentivierungen prägen eine Firmenkultur natürlich.
Was macht einen guten Personalberater in Ihren Augen aus?
Zunächst einmal braucht man ganz sicher ein hohes Maß an Interesse an Menschen. Denn man muss Freude daran haben, zu ergründen, was eine Person antreibt. Dazu gehört die Fähigkeit, gut zuhören zu können. Und am Ende kommt es natürlich vor allem auf das persönliche Urteilsvermögen an. Dieses Urteilsvermögen speist sich aus dem Bauchgefühl, dem intelligenten Umgang mit unseren analytischen Tools zur Kandidatenbeurteilung und natürlich auch aus der persönlichen Erfahrung. Wenn man jedes Jahr hunderte von Managern kennenlernt und ihren weiteren Lebensweg verfolgt, bekommt man ein immer besseres Gefühl für die Qualität einzelner Kandidaten. Man sieht ja, ob die eigenen Prognosen mit der Performance des jeweiligen Kandidaten übereinstimmen.
Aus welcher Situation heraus melden sich die Klienten heute bei Ihnen und beauftragen Sie mit der Besetzung von Führungspositionen?
Oftmals ist dem Unternehmen eine wichtige Führungskraft abhanden gekommen. Diese Stelle muss wieder besetzt werden. Zunächst ist es dann für uns wichtig, vom Klienten zu erfahren, welche Aufgaben konkret in der jeweiligen Position zu bewältigen sind. Dazu gehört auch, zu wissen, welche Strategie das Unternehmen verfolgt und welche Ziele es sich setzt. Aus diesen Beschreibungen heraus entwickeln wir gemeinsam die Kompetenzen, welche die neue Führungskraft idealerweise mitbringen sollte. Das Briefing des Klienten ist manchmal diffus, wir müssen dieses aber so übersetzen können, dass wir Klarheit haben, welche Kompetenzen wir in dem oder der Kandidatin vereint sehen wollen.
Destillieren Sie für Ihre Beurteilung die Kompetenzen von Kandidaten aus dem, was diese bis dato an Erfolgen und Erfahrungen vorzuweisen hatten?
Lange Zeit wurden Personalentscheidungen so getroffen, dass die bisherigen Erfolge das entscheidende Kriterium zur Beurteilung gewesen sind. Man ging dann aber dazu über, neben den Erfahrungen die Fähigkeiten und Eigenschaften stärker zu gewichten. Beurteilte man diese richtig, konnte man schließlich eher prognostizieren, zu welcher Leistung die betreffende Person in einer bestimmten Führungsposition in der Lage sein würde. Heute aber ist die Berufswelt um ein vielfaches komplexer geworden und Kompetenzen sind natürlich immer noch elementar. Sie können jedoch an Grenzen stoßen, wenn sich die Anforderungen an die Führungskraft radikal ändern. In sich schnell wandelnden Märkten ist die persönliche Performance in der Vergangenheit kein Garant mehr dafür, auch in Zukunft Leistungsträger zu sein. Diese Erkenntnis macht Ihre Arbeit nicht einfacher.
Was gibt Ihnen denn dann die Sicherheit, den richtigen Kandidaten gefunden zu haben?
Sein Potenzial. Erkennen wir das notwendige Potenzial, dann wissen wir, dass derjenige die Fähigkeit hat, sich jederzeit neue Kompetenzen anzueignen. Besitzt jemand hohes Potenzial, bleibt er auch unter sich verändernden Umfeldbedingungen erfolgreich.
… und diese ändern sich wesentlich schneller, als es früher der Fall war.
Natürlich. Nehmen Sie als Beispiel die Fashionbranche. Früher wurden vier Kollektionen produziert, das Werk war vor Ort und der Einzelhandel der einzige Absatzkanal. Heute sind es 12 bis 16 Kollektionen, die auf internationalen, wandernden Beschaffungsmärkten gefertigt werden und deren Produktionsstandard den Corporate Governance Regeln gerecht werden müssen. Die Absatzmärkte verändern sich ebenfalls rasant: Multi-Channel, E-Commerce und die Vertikalisierung sind hier die bestimmenden Themen. Und all dies findet in einem internationalen Wettbewerb statt, der weiter zunimmt. Die sehr starke Beschleunigung in der Transformation von Geschäftsmodellen sorgt dafür, dass die Anforderungen wachsen. Nur wer über entsprechendes Potenzial verfügt, kann in diesen sich permanent verändernden Märkten als Führungskraft bestehen.
„Wir beurteilen Kandidaten heute nach ihrem Potenzial“
Wie man das erkennt, weiß Personalexperte Dr. Stephan Buchner.
Welches sind die wichtigsten Indikatoren für Sie, anhand derer Sie das Potenzial von Kandidaten feststellen?
Zunächst ist es elementar, dass ihre Eigenmotivation sie antreibt, übergeordnete Ergebnisse zu erreichen. Immer besser werden zu wollen und dabei zum Wohle eines kollektiven, uneigennützigen Zieles zu agieren setzt einen gewissen Altruismus als Eigenschaft voraus, der in diesen Menschen fest verankert ist. Neben der Motivation sind es vier weitere Eigenschaften, die unserer Meinung nach für ein hohes Potenzial stehen und den Weg zur erfolgreichen Führungskraft ebnen: Die Neugier, die analytische Kraft, die Überzeugungskraft und die Entschlossenheit.
Das ist interessant. Können Sie unseren Lesern etwas detaillierter erläutern, was Sie darunter verstehen und warum diese Eigenschaften für einen Topmanager so wichtig sind?
Gerne. Unter Neugierde verstehen wir Veränderungsbereitschaft und die Offenheit für neue Erfahrungen. Neugierige Menschen sind keine Statusbewahrer, sondern sind immer angetrieben von ihrem Wunsch, neue Dinge kennenzulernen und sich neues Wissen anzueignen. Die analytischen Fähigkeiten sind unabdingbar, um die vorliegenden Informationen so zu interpretieren, dass daraus neue Chancen kreiert werden können. Das bedeutet zusätzlich, dass man die wirklich relevanten Dinge von den unwichtigen trennen können muss. Sehr gute Analytiker haben einen sehr klaren Blick für die Situation.
Die Überzeugungskraft und Entschlossenheit betrifft vor allem das Thema Menschenführung?
Nicht nur. Die Überzeugungskraft ist natürlich eine Gabe, mit der es einem gelingt, andere Menschen mit ins Boot zu holen. Dafür ist einerseits Empathie nötig, andererseits aber auch eine Stringenz in der Argumentation. Und die Entschlossenheit meint nicht nur die Durchsetzungsstärke, sondern auch die Fähigkeit, trotz Rückschlägen für den Erfolg der Ziele zu kämpfen. Oft wird in dem Zusammenhang auch von Resilienz gesprochen, also der Fähigkeit, trotz Misserfolgen beharrlich zu bleiben und sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen.
Welche der vorgenannten Fähigkeiten ist wohl diejenige, die Sie am häufigsten bei Kandidaten vermissen?
Das ist nicht einfach zu beantworten, weil ich darüber keine Statistik führe. Aber ich vermute, es ist der letzte der genannten Potenzialfaktoren: Eine wirklich durchsetzungsstarke Entschlossenheit ist wohl der Punkt, an dem es die größten Abweichungen in der Erwartung an die Führungskräfte gibt.
Wie lässt sich Potenzial freilegen?
Indem man sich Aufgaben stellt, die einen wirklich fordern. Nur wer bereit ist, auch unbequeme Herausforderungen anzupacken – und bei diesen nicht auf einen langjährigen Erfahrungsschatz in der Problembewältigung vertrauen kann, also Neues wagt – wird sein Potenzial erschließen. Potenziale mögen zwar in einem gewissen Rahmen konstant sein, an ihrer Entfaltung aber kann man arbeiten. Wer kontinuierlich seine Komfortzone verlässt und sich ganz gezielt den schwierigen Aufgaben stellt, ist auf dem besten Weg, seine Potenziale freizulegen.