Expertenbeitrag
Im Recruiting-Prozess von Unternehmensberatungen sind Case-Bearbeitungen an der Tagesordnung. Nach einer Begrüßung könnte Ihr Bewerbungsgespräch mit der Aufforderung starten: „Erstellen Sie bitte ein Marketingkonzept für ein Hotel!“. Sie haben zwar Betriebswirtschaft studiert, das Wort „Marketing“ jedoch zum letzten Mal im zweiten Semester gehört? Außerdem kennen Sie das Hotelgewerbe nur als Gast? Dennoch kein Grund, nervös zu werden! Selbst wenn Sie einschlägige Vorkenntnisse in der Branche besitzen, wird der Interviewer durch weitere Nachfragen einen wunden Punkt bei Ihnen finden.
Aber warum verwenden Unternehmensberatungen diese Fallstudien und Aufgaben, deren Lösung ein Bewerber nicht kennen kann? Cases sollen Bewerber in eine Situation versetzen, mit der Unternehmensberater jeden Tag konfrontiert sind: Sie müssen sich schnell in neue und ungewohnte Situationen hineindenken und zügig ein Lösungskonzept für eine definierte Aufgabenstellung erarbeiten. Mithilfe eines Cases können die Interviewer schnell erkennen, wie der Kandidat eine derartige Aufgabe bewältigen kann. Die Kriterien, die im Rahmen eines Cases abgeprüft werden können, sind vielfältig: Strukturiertheit, Stressresistenz, Kreativität, logisches sowie analytisches Denken sind im Interview immer gefragt. Man sollte sich jedoch nicht abschrecken lassen: Mit der richtigen Vorbereitung schaffen Sie die besten Voraussetzungen, um jeden Case zu lösen.
Der Abschätzungs-Case
Wie oft drückt ein Unternehmensberater täglich die Enter-Taste einer PC-Tastatur? Wie viele gebrauchte Autos wechseln in Deutschland jährlich ihren Besitzer? Wie viele Fußbälle gibt es in Europa? Die Themenstellungen in Abschätzungs-Cases sind unerschöpflich und unberechenbar. Hier gilt es, strukturiert an die Lösung heranzugehen, damit Sie alle wesentlichen Aspekte in Ihren Überlegungen berücksichtigen. Ihnen fehlen wichtige Informationen? Fragen Sie nach – oft verrät Ihnen der Interviewer dann mehr Details. Wenn nicht, nehmen Sie die erhaltenen Informationen als Basis, und treffen Sie Annahmen. Bringen Sie dabei Ihre eigene Lebenserfahrung ein: Denken Sie an das Tippen Ihrer Abschlussarbeit, die Anzahl an Gebrauchtwagenverkäufen im Bekanntenkreis und die Fußballvereine aus Ihrer Stadt! Sicherlich helfen Ihnen diese Erfahrungen im Case weiter und geben Ihnen auch Ansatzpunkte, um sich selbst Abschätzungscases zur Übung zu überlegen.
Der Business Case
Business Cases geben Unternehmensberatungen die Möglichkeit, die Fähigkeiten ihrer Bewerber unter praxisnahen Voraussetzungen zu beurteilen. Viele der Cases beruhen auf tatsächlichen, aber stark vereinfachten Projekterfahrungen der Berater und geben dem Bewerber einen guten Einblick in die Beratertätigkeit und eine typische Projektsituation: Nicht nur das Marketingkonzept für das Hotel, sondern auch Finanzierungsstrategien für eine Schiffswerft oder die Kostenreduktion einer Bank können im Business Case als Herausforderung auf Sie zukommen. Oft werden aber auch offene Fragen formuliert: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Million Euro zur Verfügung und möchten ein Unternehmen gründen. Welche Branche wählen Sie? Zeigen Sie die Profitabilität Ihres Unternehmens auf. Ein Grundverständnis der Wirtschaftswissenschaften ist also ein absolutes Muss. Ein gutes Allgemeinwissen und Erfahrungen aus Praktika und Studium helfen, um den Interviewer mit realitätsnahen Grundannahmen zu beeindrucken. Von Bewerbern ohne wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund werden keine Expertenkenntnisse verlangt. Dennoch sollten Sie sich in jedem Fall wirtschaftliches Basiswissen angeeignet haben.
Wenn Sie in die Detailanalyse eines Business Cases eintauchen, versetzen Sie sich in die Lage des Unternehmers. Welche Ziele und Interessen verfolgt er? In der Regel gilt es zu optimieren: Umsatz steigern, Produktportfolio anpassen, Kosten senken oder auch Prozesse verbessern. Um zu vermeiden, dass Sie sich in den zahlreichen potenziellen Problemstellungen verlieren, bieten Sie dem Interviewer früh eine Grundstruktur für Ihren Lösungsansatz an. So können Sie rasch in die Diskussion mit ihm einsteigen und eventuell einzelne Aspekte ausklammern.
Es kommt vor, dass Business Cases auch von einer Gruppe von Bewerbern gelöst werden sollen, um die Teamfähigkeit der Bewerber zu beobachten. Finden Sie Ihre Rolle im Team! Allerdings kann nicht jeder der Wortführer sein. Beteiligen Sie sich aktiv an Diskussionen und Analysen, und treiben Sie nicht nur stumm Ihre eigene Analyse voran. Reflektieren Sie im Vorhinein Teamerfahrungen aus Studium oder Praktika: Auf welche Stärken können Sie sich verlassen und wobei benötigen Sie Unterstützung?
In der Vorbereitung auf den Business Case sollten Sie sich mit Grundzügen der Betriebswirtschaft, wie zum Beispiel einer Gewinn- und Verlustrechnung oder einer Bilanz, aber auch den einschlägigen Lösungsmodellen wie Porters Five Forces oder den 4 P’s des Marketings vertraut machen. Der Interviewer kennt oft die angewendeten Modelle und wird deshalb nicht sonderlich beeindruckt sein. Sie sollten diese Modelle also nur als Starthilfe betrachten und eigene Ansätze entwickeln. Aber aufgepasst: Bei der Anwendung eines unpassenden Modells kann der Schuss nach hinten losgehen.
Der Brainteaser
Eineinhalb Hühner legen an eineinhalb Tagen genau eineinhalb Eier. Wie viele Eier legt ein Huhn an einem Tag? Falls Sie nicht das Glück hatten, bereits während Ihrer Vorbereitung über den gefragten Brainteaser gestolpert zu sein, gilt es Ruhe zu bewahren. Ihre Analysefähigkeit und Ihr Vorstellungsvermögen werden in dieser Situation auf die Probe gestellt. Oft landen Sie bei Ihrem Lösungsweg in einer Sackgasse und müssen nochmal von vorne anfangen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Sie gescheitert sind. Sie sollten Ihre Überlegungen aussprechen, eventuell gibt der Interviewer Ihnen zusätzliche Hinweise. Ändern Sie Ihren Blickwinkel, und überzeugen Sie ihn auch mit unkonventionellen Ansätzen. Vermutlich sind Sie so auch darauf gekommen, dass ein Huhn an einem Tag genau zwei Drittel Eier legt.
Neben den verschiedenen Fallstudien sollten Sie im Bewerbungsgespräch eines nicht vergessen: Überzeugen Sie durch Ihre Persönlichkeit. Der Interviewer sucht neben Ihrer fachlichen und analytischen Klasse auch einen zukünftigen Kollegen, mit dem er gerne zusammenarbeitet und auch das ein oder andere Feierabendbier trinkt.
Tipps für Case-Interviews:
1. Bleiben Sie ruhig!
Der Interviewer wird versuchen, Sie unter Druck zu setzen. Sollten Sie merken, dass Ihre Antwort nicht den Vorstellungen des Gesprächspartners entspricht, bewahren Sie dennoch Ruhe. Wichtig ist, dass Sie weiterhin konzentriert bleiben und nach Alternativen suchen. Übrigens: Man muss nicht alle Fragen richtig beantworten, um bei einer Bewerbung Erfolg zu haben.
2. Strukturieren Sie!
Die Aufgabenstellungen eines Cases sind mitunter sehr komplex. Umso wichtiger ist eine strukturierte Herangehensweise. Geben Sie dem Interviewer das Gefühl, dass Sie durch Ihre eigene Ordnung der Themenbereiche die Problemstellung verstehen und im Griff haben. So wird es für Sie auch leichter, nach Detailausführungen zu den Kernpunkten im Case zurückzufinden.
3. Arbeiten Sie ergebnisorientiert!
Verlieren Sie sich nicht im Detail und beziehen Sie sich immer wieder auf die Ausgangsfrage. So gelingt es Ihnen, in der gesetzten Zeit die geforderte Lösung zu erarbeiten. Bedenken Sie: Die Dauer des Interviews ist begrenzt. Je schneller Sie zu einer Lösung kommen, desto mehr Zeit hat der Interviewer, Sie durch weitere Fragen als interessanten Gesprächspartner kennenzulernen.
4. Teilen Sie Ihre Gedanken!
Ein richtiges Ergebnis im Case genügt nicht für den Interview-Erfolg. Der Lösungsansatz spielt eine entscheidende Rolle. Sie sollten also den Interviewer an Ihren Überlegungen teilhaben lassen, um ihm zu zeigen, dass Sie die Problemstellung erfasst und eine gute Lösung erarbeitet haben.
5. Stellen Sie Fragen!
Aus Ihrer Sicht fehlen Informationen für ein erfolgreiches Lösen des Cases? Fragen Sie beim Interviewer nach! Dies gilt ebenso, wenn Ihnen Einzelheiten während des Cases unklar erscheinen. Auf diese Weise lassen sich Missverständnisse schnell aufklären.
6. Begeistern Sie!
Unternehmensberater müssen Ihre Kunden überzeugen. Hierzu sollten Sie in der Lage sein, mit Ihren Ideen zu begeistern und Ihr Gegenüber mitzureißen. Das setzt neben der inhaltlichen Qualität Ihres Vortrags auch ein selbstbewusstes Auftreten und entsprechende kommunikative Fertigkeiten voraus. Sie könnten auch dazu aufgefordert werden, Ihren Vortrag am Flipchart zu präsentieren. Polieren Sie also noch einmal Ihr Soft-Skills-Repertoire auf.
7. Seien Sie Sie selbst!
Zwar kommt es bei einer Fallstudie in erster Linie auf fachliche Kompetenz an. Dennoch wird sich der Interviewer fragen, wie die Zusammenarbeit mit Ihnen im Team wäre. Arroganz und Überheblichkeit können hier trotz sehr guter Fachkenntnisse zum Ausschlusskriterium werden.
Autor: Dr. Jens-Christoph Uhr, Roland Berger
Dr. Jens-Christoph Uhr, Dipl.-Kfm., Jahrgang 1983, Project Manager bei Roland Berger im Bereich Restructuring & Corporate Finance. Er führt regelmäßig Bewerbungsgespräche mit potenziellen Mitarbeitern. Seine Cases stützt er häufig auf Nachrichten aus der aktuellen Presse.