Financial Services? Da, wo immer Spaß und gute Laune herrscht? Auch Christina Ellringmann hatte zu Anfang nicht gedacht, dass sie dieser Bereich wirklich einmal so faszinieren würde. Seit 2002 ist sie schon bei Bain & Company – und hat weder ihre Begeisterung noch ihre Neugier verloren.
Bain? Das Unternehmen hatte ich gewählt, weil ich dort eine hervorragende Zeit im Praktikum verbracht hatte und mir dessen Kultur von allen Topmanagementberatungen am meisten entsprach – anspruchsvoll, bedingungslos ergebnisorientiert und bei allem Tun authentisch und ehrlich in der Kommunikation. Bain konnte mich am stärksten davon überzeugen, dass ich die Möglichkeit erhalte, viel zu sehen und auszuprobieren. Ich hatte das Gefühl, dass ich dort wachsen, Spaß haben und interessante Kunden, Themen und vor allem Menschen kennenlernen kann.
Es ist sehr positiv, sich nicht gleich am Anfang festlegen zu müssen.
Christina Ellringmann, Bain & Company
Das Versprechen eines generalistischen Ansatzes, das heißt von Anfang an in unterschiedlichen Industrien und auf verschiedenen Themenstellungen eingesetzt zu werden, wurde ganz erfüllt. Das fand ich viel interessanter, als mich gleich auf eine Industrie festzulegen – und im Nachhinein betrachtet war es auch mein großes Glück. Ich würde heute wahrscheinlich in einer ganz anderen Industrie arbeiten, hätte ich mich damals sofort für einen Schwerpunkt entscheiden müssen. Das wäre sehr schade gewesen, denn für mich gibt es heute nichts Spannenderes als Finanzdienstleister zu beraten.
Von allen Bereichen hat mich Financial Services am meisten begeistert.
In meinen ersten Jahren bei Bain habe ich diverse Industrien und Funktionsbereiche von innen kennengelernt. So habe ich unter anderem bei der Entwicklung der Wachstumsstrategie für ein weltweit führendes High-Tech-Unternehmen mitgearbeitet oder einen Handelskonzern bei der Ausgestaltung und Implementierung eines neuen Planungs- und Controllingprozesses unterstützt. Von allen Projekten hat mich die Arbeit im Bereich Financial Services jedoch am meisten begeistert. Was versteht man unter Financial Services? Hier arbeiten wir insbesondere für Banken und Versicherungen, aber auch für andere Finanzdienstleister, wie zum Beispiel Bausparkassen oder Kreditkartenunternehmen. Wir beraten diese unter anderem bei Fragen der strategischen Neuausrichtung, organisatorischen Themenstellungen oder auch bei der Optimierung des Produktportfolios, der Prozesse oder des Vertriebs. Meine Arbeit hat somit nichts mit der Funktion Finanzen in Unternehmen oder dem Bereich Corporate Finance zu tun. Gerade diese Meinung begegnet mir immer wieder bei vielen Berufseinsteigern, von denen manche ohne näheres Hinsehen einen großen Bogen um den Bereich machen. Jetzt werden Sie sich sicherlich fragen: Was ist am Bereich Financial Services denn so spannend?
Das Versicherungs- und Bankenwesen befindet sich seit einigen Jahren im Umbruch, durch die Finanzkrise sind weitere Herausforderungen hinzugekommen. Wettbewerbsstrukturen ändern sich, die Kunden haben andere Anforderungen, die Geschäftsmodelle müssen angepasst werden. Nach Jahrzehnten des kontinuierlichen Wachstums müssen viele Unternehmen zudem neue Wege finden, um in einem mittlerweile eher stagnierenden Marktumfeld weiter wachsen zu können. Und dies in einer Branche, die stärker als andere durch regulatorische Vorgaben geprägt ist.
Im Bereich Financial Services gibt es viele, die Veränderungen gestalten wollen
Am Anfang eines Projekts definieren wir immer den “Point of Departure”. So nennen wir den Ausgangspunkt, an dem sich ein Unternehmen in Bezug auf eine spezifische Themenstellung gerade befindet, um darauf aufbauend den “Point of Arrival” zu definieren, also das Endergebnis, an dem wir uns messen.
Wir untersuchen die interne Geschäftsentwicklung und -aufstellung, nehmen Wettbewerbsanalysen vor und entwickeln im nächsten Schritt Lösungsszenarien und Optionsräume, die wir nach ihrem Potenzial bewerten. Das Faszinierende daran ist, dass man extrem „breit“ denken kann und muss, bevor man den eigentlichen Lösungsweg definiert. Auch das ist eine Herausforderung, wenn man bedenkt, dass oftmals mehrere Wege zum Ziel führen können und die theoretisch beste Lösung nicht immer die beste in der Praxis ist.
Vier Monate New York entschädigen für den einen oder anderen längeren Arbeitstag
Gleichzeitig müssen Sie bedenken, dass die Arbeit immer Auswirkungen auf die Mitarbeiter der Unternehmen besitzt. Es ist also auch wichtig, den Kunden soweit wie möglich in die Arbeit mit einzubeziehen, um am Ende eine hohe Akzeptanz der Ergebnisse zu erzielen. Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich sowohl sehr strategisch als auch operativ arbeiten kann. Von der Definition der Unternehmensstrategie bis zur Entwicklung eines neuen Leitfadens ist alles dabei. So habe ich für eine Bank zum Beispiel einmal definiert, in welchen Ländern diese bei welchen Kundengruppen mit welchem Angebot aktiv sein sollte oder für ein Versicherungsunternehmen analysiert, wie viele neue Vertriebsstandorte noch wo eröffnet werden können, um zusätzliches Wachstumspotenzial zu realisieren. In einem anderen Fall habe ich gemeinsam mit dem Kunden die Merkmale eines neuen Versicherungsprodukts ausgestaltet und festgelegt, unter welchen Namen es am Markt angeboten wird. Es ist einfach toll zu sehen, wenn diese Ergebnisse am Ende in die Tat umgesetzt werden, man zum Beispiel einen neuen Vertriebsstandort besuchen kann oder die Werbung für das neue Produkt in einer Zeitung sieht.
Als Beraterin und Mitglied der Financial Services Praxisgruppe gehört die Reisetätigkeit für mich zum Alltag. Für mich ist dies kein Problem, da ich sehr gerne reise und diese Leidenschaft exzellent mit meinem Beruf verbinden kann. So gab mir mein Vater schon früh den Spitznamen „Up, up and away“ und ich freue mich immer, wenn ich im Rahmen eines Projekts eine neue Stadt oder ein neues Land entdecken kann. Auch wenn ich für meine Projekte weitgehend in Deutschland und Europa unterwegs bin, hatte ich auch schon die Möglichkeit, für ein Projekt vier Monate in New York verbringen zu können. Dies entschädigt dann auch in vollem Umfang für den einen oder anderen längeren Arbeitstag.
Man muss nicht “männlich” handeln, um Erfolg zu haben. Man darf durchaus Frau sein – und kommt damit sehr weit.
Als Frau in der Beratung stand ich durchaus immer wieder vor der Situation, dass ich manchmal als zu „soft“ wahrgenommen wurde. Dann dachte ich im ersten Moment: „Nun gut, dann muss ich härter und männlicher sein oder auftreten.“ Nach kurzer Reflexion machte ich mir aber bewusst, dass ich in einer sehr männlich geprägten Industrie alles bekommen hatte, was ich erreichen wollte. Man darf durchaus Frau sein und kommt damit sehr weit. Nicht selten passiert es, dass ich von Kunden das Feedback erhalte, es sei schön und erfreulich, eine Frau im Projektteam anzutreffen. Frauen haben eine andere Sprache, sind diplomatischer, formulieren nicht so hart und können Männerrunden auflockern. Es spielt aber noch ein anderer Aspekt eine Rolle. Es kann durchaus passieren, dass die Ansprechpartner auf Kundenseite 20 Jahre jünger sein können als die betreuenden Berater. Wenn dazu noch ein reines Männerteam antritt, dann habe ich unter Umständen eine Generationen- UND eine Geschlechterkluft. Eine Frau im Team kann im Idealfall in beiden Fällen eine Brückenbauerin sein.
Auch wenn ich typisch weibliche Attribute und Fähigkeiten mitbringe, so denke ich nicht, dass diese mein Handeln besonders prägen. Ich bin eher diszipliniert, analytisch stark und arbeite am liebsten in Teams. Zudem macht es mir persönlich sehr viel Freude, andere Menschen zu fördern und ihnen zu helfen, sich weiter zu entwickeln. Und genau das mache ich tagtäglich in meinen Teams. Ich helfe jedem Einzelnen dabei, besser zu werden, indem ich meine eigenen Stärken einsetze. Das ist sicherlich auch ein Grund dafür, warum ich stark im Recruiting engagiert bin und als Mentorin helfe, jüngere Berater in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung bestmöglich zu unterstützen.
Selbstverständlich arbeitet man in der Beratung sowohl intern als auch extern mit vielen Männern zusammen. Ich persönlich empfinde das aber als völlig normal. Man kann für sich selbst viel mitnehmen und lernen – und dies dann auf eine weibliche, dezentere Art einsetzen. Und es hat durchaus auch andere positive Seiten: Mittlerweile kann ich auch in der Bundesliga deutlich besser mitreden. Beim „Women at Bain“-Programm überwiegen jedoch andere Themen. In Bains weltweitem Frauennetzwerk tauscht man sich zu Themen wie Karriereentwicklung oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus oder informiert sich über spezifische Trainings. Alle zwei Jahre gibt es zudem den Global Women’s Summit, der dem direkten Wissens- und Erfahrungsaustausch dient.
Autorin: Dr. Christina Ellringmann, Bain & Company